Zum 150. Geburtstag: Alice Salomon

Alice Salomon wurde am 19.04.1872 als viertes von acht Kindern einer großbürgerlichen jüdischen Familie in Berlin geboren. Nach der damals üblichen Schulbildung für Mädchen ihres Standes führte sie das - für sie unbefriedigende - Dasein einer Haustochter.

Foto: OTFW, Berlin, CC BY-SA 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0>, via Wikimedia Commons

Sie selbst sagte später, dass ihr eigentliches Leben erst mit 21 Jahren begann, als sie Mitglied der neu gegründeten „Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit“ wurde.

Dort engagierte sie sich in der Unterstützung junger Arbeiterinnen, in einem Mädchenhort, in der Auskunftsstelle für soziale Fragen der Deutschen Gesellschaft für Ethische Kultur (heute: Deutsches Zentralinstitut für soziale Fragen) und übernahm das Amt der Schriftführerin. Für die Vorsitzende Jeanette Schwerin wurde sie zur rechten Hand und übernahm nach deren Tod die Leitung der Gruppe.

Im Jahr 1900 trat Alice Salomon dem Bund Deutscher Frauenvereine bei, wurde später zur stellvertretenden Vorsitzenden gewählt und blieb dies bis 1920. In Zusammenarbeit mit dem Frauenbund setzte sie sich unter anderem für die materielle und psychische Unterstützung von verarmten, geschiedenen, alleinerziehenden sowie überforderten Müttern ein.

1906 promovierte sind und wurde Doktorin der Philosophie. Ihre Abschlussarbeit schreib sie über „die Ursachen der ungleichen Entlohnung von Männer- und Frauenarbeit“, ein leider immer noch aktuelles Thema. 1908 gründete sie in Berlin die reichsweit erste Soziale Frauenschule. Sie verstand ihre Schule als einen Ort, an dem die weibliche Jugend für die Nutzbarmachung der Pflichten und Rechte erzogen werden sollte, die die Frauenbewegung für sie bereits erkämpft hatte.

1914 trat sie vom Judentum zum christlichen Glauben (evangelisch) über. 1917 wurde Salomon Vorsitzende der von ihr gegründeten „Konferenz sozialer Frauenschulen Deutschlands“. 1920 trat sie aus dem Vorstand des Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) zurück, nachdem der Bund sie aus Angst vor antisemitischer Propaganda bei der Wahl zum Vorsitz übergangen hatte. Diesbezüglich schrieb Salomon in ihrer Autobiografie: „Wir verschoben jedoch die Wahl bis nach Kriegsende; nun aber informierten mich meine Kolleginnen darüber, dass die Mitglieder zögerten, jemanden mit jüdischem Namen und jüdischen Vorfahren zur Vorsitzenden zu machen, da die Haltung der Bevölkerung in dieser Hinsicht nicht mehr zuverlässig sei.“ 

Fünf Jahre später gründete sie die „Deutsche Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit“, die als Weiterbildungseinrichtung für Frauen in sozialen Berufen, aber auch für ausgebildete Akademikerinnen mit Berufserfahrung zur Weiterqualifizierung diente.  1929 rief Salomon die „International Association of Schools of Social Work“ („Internationale Vereinigung der Schulen für Sozialarbeit“) ins Leben, der sie viele Jahre vorstand. 

Im Mai 1933 wurde Alice Salomon in ihrer Funktion als Präsidentin der Frauenakademie von einer nationalsozialistischen Beamtin aufgefordert, die jüdische Direktorin Hilde Lion zu entlassen. Dieser Aufforderung folgte sie nicht und erklärte stattdessen (nach eigenen Angaben), dass sie „(…) Dr. Lion deshalb ernannt hatten, weil sie die Beste für diese Stellung und eine der begabtesten Frauen ihrer Generation war; außerdem habe sie einen Vertrag auf Lebenszeit. Ich sagte ihr, dass ich eher die Akademie zerstören würde, die mir so lieb war wie das jüngste Kind, als dass ich eine Mitarbeiterin betrügen würde, und dass ich nie jemanden aus rassischen oder religiösen Gründen entlassen würde."

Am 9. Mai 1933 wurde die Akademie auf Antrag von Alice Salomon mit der Begründung aufgelöst, dass die finanzielle Basis für den Weiterbestand der Akademie und die Freiheit der Forschung durch das NS-Regime nicht mehr gegeben sei. Anschließend wurde sie von den neuen Machthabern aus allen öffentlichen Ämtern gedrängt. 

Im Jahr 1937 wurde sie dann durch die Gestapo zur Emigration gezwungen. Neben ihrer jüdischen Familienherkunft spielten dabei auch ihre christlich-humanistischen Ideen, das Eintreten für eine pluralistische Berufsarbeit, sowie ihr offener Pazifismus und ausgeprägter Internationalismus eine Rolle. Außerdem hatte sie bis zu ihrer Vertreibung in einem Hilfskomitee für jüdische Emigrant:innen gearbeitet. 

Sie selbst gelangte über Großbritannien in die USA, dort wurden ihr 1939 die deutsche Staatsangehörigkeit und die beiden Doktorgrade aberkannt. 1944 wurde sie amerikanische Staatsbürgerin und ein Jahr darauf Ehrenpräsidentin des Internationalen Frauenbundes und der „Internationalen Vereinigung der Schulen für Sozialarbeit“.

Am 30. August 1948 starb Salomon in New York. Ihr Werk und ihre Leistungen erfuhren wieder in den 1980er-Jahren Beachtung, so erschienen erst 1983 ihre Memoiren in Deutschland. 

Heutzutage sind zahlreiche Fachschulen nach Alice Salomon benannt und die Deutsche Bahn taufte im Jahr 2000 einen ICE auf ihren Namen. Aus der von ihr gegründeten „Sozialen Frauenschule“ ging die heutige „Alice Salomon Hochschule“ hervor.

Ein Artikel des AK Geschichte/Frauengeschichte der EVG-Bundesfrauenleitung.