Von den Nazis gesucht: Lina Kant (1898 - 1976): Gewerkschafterin im Widerstand gegen die Nazis
Der Name Lina Kant stand seit Frühjahr 1940 gleich zweimal auf einer Sonderfahndungsliste der Nazis. Sie wurde sowohl als Lina Kant, als auch als Lina Clutterbeck geführt.
Unter den 2.820 Namen finden sich auch Personen wie Winston Churchill, Charles De Gaulle, Virginia Woolf oder der ITF-Vorsitzenden Edo Fimmen. Die Nazis wollten die aufgeführten Personen nach der geplanten Invasion Großbritannien „festnehmen und beseitigen“.
Wer war Lina Kant?
Geboren 1898 wächst Lina Kant in einer Arbeiterfamilie in Pforzheim auf. Ihr Vater, ursprünglich Graveur, ist ab 1921 Mitglied der Ortsverwaltung Pforzheim des Metallarbeiterverbandes (Vorläuferorganisation der heutigen IG Metall). So kommt sie von frühester Kindheit an in Kontakt mit der Gewerkschaftsbewegung.
Nach dem Schulabschluss macht sie eine Ausbildung als Kauffrau, auf der Handelsschule lernt sie Stenografie und Fremdsprachen. Nach der Ausbildung arbeitet sie zunächst bei der AOK, dann bei einer Schmuckfirma, bis sie 1920 beim Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund anfängt. Die Wirtschaftskrise 1923 führt auch in Pforzheim zu Inflation und hoher Arbeitslosigkeit. Lina Kant spricht Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch, sie ist sehr gut ausgebildet und unabhängig. Sie wagt den Schritt und findet Arbeit bei der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) in Amsterdam.
Bei der ITF arbeitet sie als Übersetzerin und Stenotypistin. Nun lernt sie zusätzlich Holländisch, Arabisch und Persisch. Sie lernt Gordon Clutterbeck kennen, der ebenfalls bei der ITF angestellt ist. Die beiden heiraten 1925, ihre Kinder werden 1929 (Ursula) und 1931 (Ernest) geboren.
Nach der Machtübertragung an die Nazis und der Zerschlagung der Gewerkschaften am 2. Mai 1933 organisiert die ITF-Kontakte zu den aktiven, meist untergetauchten Gewerkschafter:innen im Deutschen Reich und im Ausland. Zu ihnen gehört bspw. auch Hans und Frieda Jahn. Basierend auf der Kartei der Funktionär:innen des Verbandes baut die ITF mit ihm 1935 ein illegales Informationsnetz in Deutschland auf. Zu diesem gehörten im Jahre 1936 insgesamt 284 „Stützpunktführer“ in 137 Orten, insgesamt waren darin 1320 Funktionäre organisiert.
Lina Kant ist eine sehr geeignete Kurierin, mehrfach fährt sie von Amsterdam ins Deutsche Reich. Sie lebt schon viele Jahre nicht mehr in Deutschland, sie spricht mehrere Sprachen und niemand kommt auf die Idee, dass sie in ihrer Unterwäsche Flugschriften für das illegale Informationsnetzwerk versteckt haben könnte.
Nach dem Überfall auf Polen verlegt die ITF ihren Amtssitz nach Bedford, später nach London und auch Lina Kant flieht mit ihrem Mann und ihren Kindern nach Großbritannien.
Lina Kant führt ihre Kuriertätigkeit fort. Von den Kolleg:innen der ITF wird sie als „direkt, kämpferisch und furchtlos“ beschrieben. Wer ihre Tätigkeit verraten hat und warum sie auf der Fahndungsliste stand, ist nicht bekannt. Ihre Eltern werden von der Gestapo verhört, aber nicht verhaftet. Sie selbst wird nie gefasst.
Nach Zerschlagung des Faschismus bleibt Lina Kant in England und arbeitet weiterhin für die ITF in ihrem Beruf, zuletzt als Chefstenotypistin in der ITF-Zentrale. Im Mai 1968, fast 70-jährig, geht sie in den Ruhestand.
Am 30. Juli 1976 stirbt Lina Kant. Zeitlebens hat sie nie viel Aufhebens um ihre Arbeit im Widerstand gemacht und nicht von ihrer illegalen Arbeit gesprochen. Die ITF schreibt in ihrem Nachruf: „Sie war in der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung aktiv und eine unermüdliche Kämpferin für die Gleichberechtigung der Frauen zu einer Zeit, als dies noch nicht dieselbe Unterstützung erfuhr wie heute“.
Ein Artikel des AK Geschichte/Frauengeschichte der EVG-Bundesfrauenleitung.
Eine Broschüre des DGB Pforzheim mit weiteren Informationen zu Lina Kant findet ihr online.