Unser „Stammtisch der Nationen“ oder wie Mitarbeitende aus 40 Nationen zusammenfinden

Ein Interview mit Hans-Jörg Grafe, Vorsitzender des Betriebsrats Wahlbetrieb 1 der DB Services GmbH - Regionalbereich Nordost, Berlin.

Hans-Jörg Grafe

Hansi, Du arbeitest in Deinem Büro. Du zeigst somit persönliche Präsenz für unsere Kolleginnen und Kollegen aber auch für den Arbeitgeber. Ist es in Zeiten von Corona schwierig eine effektive Betriebsratsarbeit zu leisten?

Hans-Jörg Grafe: Unsere Erfahrungen beantworten diese Frage mit JA. Zumal ja unsere Mitarbeitenden hauptsächlich dezentral arbeiten. Sie alle stehen in der ersten Reihe, wenn es darum geht, unseren systemrelevanten Konzern weiter am Laufen zu halten. Ob bei der Fahrzeugreinigung der Züge des Fernverkehrs, von DB Regio oder der S-Bahn Berlin GmbH, ob auf Verkehrsstationen oder in Verwaltungsgebäuden - unsere Kolleg*innen stehen mit ihrer Arbeit für Hygiene und Sauberkeit. Auch und gerade jetzt in der Corona-Krise. Keinesfalls vergessen möchte ich an dieser Stelle auch alle Kolleg*innen der Zentrale der DB Services GmbH und des Regionalbereichs Nordost sowie die angestellten Beschäftigten in unseren Servicebereichen und nicht zuletzt auch die Leiterinnen und Leiter, die im Büro oder im „verordneten“ Homeoffice die Prozesse um Einkauf und Beschaffung, Controlling, Buchhaltung, NAQ, im Personalbereich und den Sekretariaten sowie in der Disposition sicherstellen. An alle mein herzlichster Dank.

Doch kommen wir zurück zum Inhalt Deiner Frage. Wenn ich sage, dass die Betriebsratsarbeit zurzeit deutlich schwieriger ist, so sehe ich jedoch auch ein großes ABER. Denn die Arbeit unserer Interessenvertretung beschränkt sich ja nicht nur auf das „tagesaktuelle Geschäft“. Vielmehr verfolgen wir gerade jetzt z.B. auch ein Ziel, dass wir uns schon im Oktober 2019 gesetzt haben. Im Rahmen der Arbeit in unseren Ausschüssen ist uns ein Fakt aufgefallen, der nach unserer gemeinsamen Meinung einer näheren Betrachtung bedurfte.

Was ist Euch genau aufgefallen?
Hans-Jörg Grafe: Im Rahmen der Sitzungen des Personalausschusses konnten wir in 2019 erkennen, dass sich die Anzahl der Einstellungen von Menschen mit Migrationshintergrund in unserem Wahlbetrieb deutlich erhöht hat. Diese Tendenz ist weiter steigend.

Was habt Ihr Euch im Jahr 2019 auf die Fahne geschrieben?
Hans-Jörg Grafe: Betriebsratsmitglieder, die als Paten für unsere einzelnen Servicebereiche eingesetzt sind, berichteten im Rahmen unserer Betriebsratssitzungen immer wieder, dass es den fremdsprachigen Mitarbeitenden sehr schwerfällt, Kontakte aufzubauen. Bedingt durch sprachliche Barrieren war die Integration in die Arbeitsteams ebenfalls schwierig. Hierin sahen wir einen hinlänglichen Handlungsanlass unseren betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten nachzukommen.

Wie seid Ihr an die Lösung der Probleme gegangen?
Zunächst hat unser Personalausschuss im Monat Oktober 2019 über die HR Abteilung der Zentrale der DB Services GmbH angefragt, wieviel Kolleginnen und Kollegen aus welchen Ländern bei uns arbeiten. Gegenwärtig sind in unserem Wahlbetrieb 137 Beschäftigte aus 40 Nationen tätig. Dies ist ein Anteil von 13,4% an der Gesamtbelegschaft. Wenn dieser Trend anhält, erreichen wir bald die 20% Marke des Anteils ausländischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In der Betriebsratssitzung im Monat November wurde der Ausschuss für Öffentlichkeitsarbeit beauftragt, ein Projekt anzuschieben, dass die Integration unserer neuen ausländischen Kolleginnen und Kollegen belebt und vorantreibt. Hier wurde die Idee eines "Stammtischs der Nationen" entwickelt.

Ihr habt damit ein tolles Projekt aufgelegt. Wie ging es weiter?
Hans-Jörg Grafe: Als ersten Projektschritt hierzu wurde die Auflage eines Multikulti Kochbuches beschlossen. Unsere Betriebsratsmitglieder, die als Paten in den einzelnen Servicebereichen eingesetzt sind, sprachen alle Mitarbeitenden an und baten um die Abgabe eines Kochrezeptes aus ihrem Heimatland. Der Stammtisch der Nationen soll im zweiten Projektschritt dafür da sein, in einen aktiven persönlichen Austausch zu treten.

Hansi, wie kam die Betriebsgruppe der EVG zum „Einsatz“?
Hans-Jörg Grafe: Tatkräftig unterstützt wurden wir bei all unseren Aktivitäten und von Beginn an von den Mitgliedern der Betriebsgruppe der EVG. Diese wurden sozusagen in Personalunion als Gewerkschaftsmitglied und gewähltes Mitglied unseres Betriebsrates wirksam. In annähernd in allen unserer 12 Servicebereiche sind auch EVG Mitglieder vertreten, die uns bis heute äußerst aktiv und konstruktiv unterstützen. Ich möchte an dieser Stelle einmal hervorheben, dass von unseren 15 Betriebsratsmitgliedern 12 Mitglied der EVG sind! Somit haben wir in unserem Gremium einen Organisationsgrad von 80%.

Hatte die Betriebsgruppe der EVG hier noch eine zündende Idee?
Hans-Jörg Grafe: Das kann man wohl mit Recht so sagen. In der Betriebsgruppe wurde nämlich die Idee entwickelt, unser Multikulti-Kochbuch zu einem symbolischen Preis zu verkaufen. Der Erlös wird dann an den Eisenbahnerwaisenhort gespendet. Alle Teilnehmer am internationalen Rezeptwettbewerb erhalten natürlich eine Ausgabe des Buches als Dankeschön kostenlos.

Was möchtet Ihr mit dem Projekt erreichen?
Hans-Jörg Grafe: Mit unserem Projekt wollen wir unterstreichen, dass wir uns als Gremium um die Belange aller Mitarbeitenden, egal welcher Nationalität, kümmern. Mit dem Rezept-Wettbewerb für unser „Multikulti-Kochbuch“ und durch die unermüdliche Ansprache unserer ausländischen Mitarbeitenden durch jedes einzelne unserer Betriebsrats- und EVG Mitglieder ist es uns gelungen, bisher eine große Zahl an Rezepten aus aller Welt zusammen zu tragen. Wir haben somit einen ersten gemeinsamen Nenner gefunden um unsere Kollegialität, auch mit Angehörigen von Minderheiten, zu vertiefen. Nicht vergessen möchten wir, dass auch unsere deutschen Kolleginnen und Kollegen von unserem Projekt begeistert sind. Unser Stammtisch der Nationen hat so seine ersten Schritte gemacht und wir sind sicher, dass wir als Interessenvertretung einen gewichtigen Beitrag zur Verständigung innerhalb unserer Belegschaft geleistet haben und auch weiter leisten werden.

Was habt Ihr erreicht? Wie geht es weiter?
Im Ergebnis unseres Projektes haben wir bisher 30 internationale Rezepte erhalten. Einige Rezepte sind noch im Vorlauf. Das gegenseitige Interesse ist deutlich gestiegen. Am 18.05.2020 wollten wir unseren ersten Stammtisch der Nationen durchführen. Leider musste der Termin wegen der aktuellen Corona Krise auf noch unbestimmte Zeit verschoben werden.

Rührt Ihr auch die Werbetrommel?
Hans-Jörg Grafe: Dieses Projekt scheint uns einer öffentlichen Erwähnung wert zu sein, zumal wir damit Großes anstreben. So freuen wir uns sehr, dass wir unsere Bewerbungsunterlagen für den Deutschen Betriebsräte-Preis 2020 zum Thema „Stammtisch der Nationen“ fristgerecht versendet haben. Dieser Preis wird alljährlich im Wettbewerbsverfahren durch die Fachzeitschrift „Arbeitsrecht im Betrieb“ des BUND Verlages in Gemeinschaft mit der Gewerkschaft ver.di in verschiedenen Kategorien ausgeschrieben.

Das ist eine hervorragende Idee Hansi. Ich wünsche uns viel Erfolg bei der weiteren Umsetzung des Projektes und natürlich einen sicheren Platz auf dem Siegerpodest.


Interview: Jörg Rehfeld, Mitglied des Ausschusses für Öffentlichkeitsarbeit

Das Interview wurde über MS Teams geführt.