Reform der Pflegeversicherung: Pflegeunterstützungs- und - entlastungsgesetz (PUEG)

Anfang April hat das Bundeskabinett den Entwurf zum Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz, dem sogenannten PUEG, beschlossen. Im nächsten Schritt muss der Entwurf im Bundestag verabschiedet werden. Möglich sind also noch Änderungen am Gesetz.

Der Kabinettsentwurf beinhaltet in Teilen Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag, die Pflegebedürftige und ihre Angehörigen finanziell entlasten und Leistungen zur Unterstützung in der ambulanten Pflege ausweiten sollen. 

Die Prognose ist düster: Obwohl mit der letzten Pflegereform im Juli 2021 finanzielle Entlastungen in der stationären Pflege in Kraft traten, sind die damit verbundenen Effekte durch die Preisentwicklung bereits wieder verpufft. Trotz deutlich gestiegener Alterseinkünfte wird der Anteil der Pflegeheimbewohner:innen, die Sozialhilfe beantragen müssen, im Laufe dieses Jahres auf ein Drittel anwachsen.

Was ist neu im Gesetzentwurf zur Pflegereform, was genau ändert sich? Die wichtigsten Punkte und eine kurze Bewertung im Überblick:

  • Zum 1. Januar 2024 sollen die Zuschläge, die die Pflegekasse an die Pflegebedürftigen in vollstationären Pflegeeinrichtungen zahlt, erhöht werden. Geplant ist, die Sätze anzuheben:
    o von 5 auf 15 Prozent bei bis zu 12 Monaten Verweildauer,
    o von 25 auf 30 Prozent bei 13 bis 24 Monaten,
    o von 45 auf 50 Prozent bei 25 bis 36 Monaten und,
    o von 70 auf 75 Prozent bei mehr als 36 Monaten. 

Diese Beträge sind aus Gewerkschaftssicht zu gering. Sie werden von der zu erwartenden Lohnentwicklung in der Pflege sowie den steigenden Lebenshaltungskosten umgehend aufgebraucht. 

  • Die Regierung muss ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April 2022 umsetzen, Eltern mit mehreren Kindern müssen demnach bei den Beiträgen entlastet werden. 

Der allgemeine Beitragssatz soll zum 1. Juli 2023 von 3,05 Prozent des Bruttoeinkommens auf 3,4 Prozent steigen. Kinderlose zahlen 4 Prozent Pflegebeitrag, aktuell sind es 3,4 Prozent. 

Eltern mit einem Kind zahlen den normalen Beitrag, vom zweiten Kind an wird er um jeweils 0,25 Beitragssatzpunkte verringert. Er beträgt also mit zwei Kindern 3,15 Prozent, mit drei Kindern 2,90 Prozent, mit vier Kindern 2,65 Prozent und mit fünf Kindern 2,4 Prozent. Weitere Kinder verringern den Beitrag nicht. Die Abschläge gelten so lange alle jeweils zu berücksichtigenden Kindern unter 25 Jahre alt sind.

Mit der geplanten Beitragserhöhung werden vor allem Ältere schlechter gestellt. Arbeitnehmer:innen teilen den Pflegebeitrag mit dem Arbeitgeber. Bei Rentner:innen trifft das nicht zu, sie bezahlen selbst den vollen Satz. Da die Entlastungen nur gelten, solange die Kinder unter 25 Jahren sind, werden Millionen von Senior:innen, deren Kinder erwachsen sind, nichts von den Entlastungsbeiträgen für Eltern spüren. Bei kinderlosen Rentner:innen sind die Pflegebeiträge noch höher, ab Juli 2023 liegen sie bei 4 Prozent.

  • Ab dem 1. Januar 2024 sollen das Pflegegeld sowie ambulante Sachleistungen um fünf Prozent angehoben werden. Aus Sicht der EVG ist das viel zu spät und die Anhebung viel zu gering. Die letzte Anpassung erfolgte 2017. Es bedarf einer zeitnahen Anhebung zum 1. Juli 2023 und aufgrund der auf einem relativ hohen Niveau bleibenden Inflation einer weiteren Anpassung zum 1. Juli 2024. 
  • Zum 1. Januar 2025 und zum 1. Januar 2028 sollen die Geld- und Sachleistungen regelhaft in Anlehnung an die Preisentwicklung automatisch dynamisiert werden. Aus EVG-Sicht greift diese Regelung zu spät. Sie lässt die Pflegebedürftigen mit den Auswirkungen der massiv gestiegenen Inflations- und Lebenshaltungskosten allein. Nötig ist eine regelhafte Dynamisierung auf Basis der kumulierten Inflationsrate der letzten drei Jahre bereits ab 2024 und dann wieder 2027.
  • Der Kabinettsentwurf enthält ferner eine Regelung, wonach die Regierung den Beitrag künftig per Verordnung anpassen kann, wenn die Pflegekassen in finanzielle Schieflage geraten. Die EVG lehnt diesen Vorschlag ab. 
  • Leistungen der Kurzzeit- und Verhinderungspflege sollen ab 1. Januar 2024 flexibel in einem Gesamtleistungsbetrag genutzt werden können. Diese Regelung stand schon im letzten Koalitionsvertrag und ist längst überfällig, um die pflegenden Angehörigen zu entlasten und die informelle Pflege zu entbürokratisieren.
  • Das Pflegeunterstützungsgeld soll künftig pro Pflegebedürftigen für bis zu zehn Arbeitstage je Kalenderjahr in Anspruch genommen werden können. Diese Regelung ist aus gewerkschaftlicher Sicht ein erster richtiger Schritt, um die häusliche Pflege zu vereinfachen und somit zu stärken. 

Was fehlt im PUEG?

  • Die im Koalitionsvertrag angekündigte Einführung einer Lohnersatzleistung für pflegende An- und Zugehörige findet im vorliegenden Entwurf keinerlei Erwähnung.
  • Obwohl im Koalitionsvertrag steht, versicherungsfremde Leistungen wie Rentenbeiträge für pflegende Angehörige und pandemiebedingte Zusatzkosten der Pflegeversicherung aus Steuermitteln zu finanzieren, fehlen diese Regelungen. 
  • Auch die Ankündigung im Koalitionsvertrag, die Ausbildungskostenumlage aus den Eigenanteilen herauszunehmen, bleibt unerwähnt.

Bewertung EVG

Vor dem Hintergrund der sich verschlechternden finanziellen Bedingungen durch die hohe Inflation in Höhe von 8,6 Prozent sowie massiv gestiegene Energie- und Lebenshaltungskosten sind die im Entwurf vorgeschlagenen Maßnahmen völlig unzureichend.

Die EVG erwartet Nachbesserungen im Gesetzgebungsverfahren. Aus unserer Sicht ist es zwingend notwendig, die Situation Pflegebedürftiger und Pflegender rasch zu verbessern und die solidarischen Finanzierungsgrundlagen langfristig durch eine nachhaltige Strukturreform zu stärken. 

So fordern wir den Gesetzgeber auf, die vereinbarten Bundesmittel zur langfristigen Sicherstellung der pflegerischen Versorgung jetzt zur Verfügung zu stellen. Ansonsten läuft die Pflegeversicherung weiter ins Defizit, das für 2023 bereits in Höhe von drei Milliarden Euro erwartet wird.

Wir fordern zudem in einem ersten Schritt die Deckelung der Eigenanteile (Sockel-Spitze-Tausch) sowie perspektivisch den Umbau der sozialen Pflegeversicherung in eine Pflegebürgervollversicherung, in der auch Selbstständige und noch zu ernennende Beamt:innen einbezahlen. Und die alle pflegerischen Kosten trägt.