EVG: Bund muss mehr Verantwortung für das System Schiene übernehmen
Der neue Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Torsten Westphal, hat Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer aufgefordert, mehr Verantwortung für die Deutsche Bahn und das System Schiene zu übernehmen.
„Es kann nicht mehr nur darum gehen einzelne Maßnahmen gegen Verspätungen, Zugausfälle und Personalmangel einzufordern, es müssen endlich die strukturellen Probleme bei der Deutschen Bahn angegangen werden. Und da ist auch der Eigentümer gefordert“, stellte Westphal fest. „Wir brauchen dringend ein Gesamtkonzept, das den Schienenverkehr in Deutschland insgesamt nach vorne bringt“, so Westphal.
Als Vorsitzender der EVG begrüße er deshalb, dass die EVG-Vertreterinnen und Vertreter im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn die Initiative ergriffen hätten, den Bundesverkehrsminister aufzufordern, sich mit dem Präsidium des Aufsichtsrates an einen Tisch zu setzen, um gemeinsame Lösungen zu erarbeiten. „Angesichts der zahlreichen Probleme bei der Deutschen Bahn muss der Reset-Knopf gedrückt werden und endlich gemeinsam festgelegt werden, welche Rolle die Deutsche Bahn in der politisch gewollten Verkehrswende einnehmen soll und wie die dafür notwendige Finanzierung sichergestellt werden kann“, stellte der neue EVG-Vorsitzende fest. „Es muss Schluss damit sein, dass immer nur an einzelnen Symptome herumgedoktert wird, dringend erforderlich ist ein überzeugendes Gesamtkonzept, das den Schienenverkehr insgesamt noch vorne bringt“, so Westphal.
Nach Einschätzung des neuen EVG-Vorsitzenden werden die Herausforderungen, vor denen das Unternehmen Deutsche Bahn steht, von Tag zu Tag größer. So sei die Infrastruktur nach wie vor unterfinanziert, Wagenmaterial und Technik aufgrund ihres Alters zunehmend störanfällig und wichtige Finanzierungsfragen - wie beispielsweise die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) - immer noch offen. „Das ist für ein Unternehmen wie die Deutsche Bahn ein unhaltbarer Zustand, für den auch der Eigentümer Verantwortung trägt. Ich fordere den Verkehrsminister zu deutlich mehr Engagement auf. Die Zeit der Briefe und Ultimaten ist vorbei, jetzt muss gehandelt werden“, machte Westphal deutlich.
Dies gelte insbesondere für den Schienengüterverkehr. „Wir betrachten den Zustand von DB Cargo mit großer Sorge. Wenn es die Koalition ernst mit ihrem Anspruch meint, deutlich mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern, muss der jetzt erfolgte personelle Neuanfang mit Sigrid Nikutta durch entsprechende politische Entscheidungen flankiert werden“, forderte Westphal. Der Güterverkehr auf der Schiene müsse deutlich stärker gefördert, Wettbewerbsnachteile schnellstmöglich beseitigt werden. „Vor allem brauchen wir auch hier ein tragfähiges Konzept. Dafür ist es aber erforderlich, sich mit dem Eigentümer über die verkehrspolitischen Ziele und die daraus resultierende notwendige Strategie zu verständigen“, so Westphal.
„Wir brauchen jetzt Einvernehmen und einen gemeinsamen Blick. Die Schiene hat immer noch ein unglaubliches Potential, wir müssen es nur nutzen“, machte Torsten Westphal deutlich. Wenn es gelinge, die Gütertransporte auf der Schiene deutlich zu steigern und die Fahrgastzahlen im Personenverkehr bis 2030 zu verdoppeln, könnten dank einer stärkeren Nutzung der Eisenbahn die schädlichen CO2-Emissionen um bis zu 20 Prozent reduziert werden. „Das ist in der augenblicklichen Klimadebatte doch ein Pfund, mit dem die Regierung wuchern muss“, stellte der neue EVG-Vorsitzende fest.
„Ich hoffe, dass der Vorstoß der EVG gelingt und sich Aufsichtsrat und Minister auf eine gemeinsame Strategie verständigen können. Es gibt zu viele Baustellen und zu wenig Führung. Unter dem Bild, das das Unternehmen heute abgibt leiden insbesondere unsere Kolleginnen und Kollegen. Die haben die Nase gestrichen voll. Obwohl sie gar nichts für die augenblickliche Misere können, müssen sie doch jeden Tag den nachvollziehbaren Ärger der Kunden aushalten. Schon deshalb gehören die unhaltbaren Zustände schnellstmöglich abgestellt“, machte der neue EVG-Vorsitzende deutlich. „Es gab mal eine Zeit, da waren die Kolleginnen und Kollegen stolz darauf Eisenbahner zu sein; da müssen wir wieder hin“, stellte er fest.
In diesem Zusammenhang kritisierte Torsten Westphal den „Dumping-Irrsinn“ bei der Ausschreibung von Bus- und Bahnlinien. Es muss Schluss damit sein, dass der den Zuschlag erhält, der das billigste Angebot abgibt. „Gespart wird damit nur auf dem Rücken unserer Kolleginnen und Kollegen, die nach vielen Jahren harter Arbeit ihren alten Job verlieren und denen dann, oft zu schlechteren Konditionen, beim neuen Betreiber eine Arbeitsstelle angeboten wird“, kritisierte Westphal. „Das ist Lohndumping - und damit muss jetzt Schluss sein“ Dass eine solche Entwicklung letztlich selbst für Unternehmen - und damit auch für die Kunden - fatale Folgen haben könne, werde dieser Tage in Nordrhein-Westfalen deutlich. „Da findet das Unternehmen Eurobahn keine Beschäftigten mehr, weil Kolleginnen und Kollegen nicht bereit sind für die angebotenen Löhne zu arbeiten“, stellte der neue EVG-Vorsitzende fest.
„Deshalb fordern wir, dass wer in diesem Land im Nahverkehr eine Bus- oder Bahnlinie betreibt, branchenübliche Löhne zahlen und bei einer Übernahme die bestehenden Einkommen und Beschäftigungsbedingungen sichern muss. Ohne Wenn und Aber“, machte Torsten Westphal deutlich. Auch vor einer Ausbildungsverpflichtung dürften sich die Arbeitgeber in diesem Zusammenhang nicht länger drücken. Die Möglichkeiten, die das Vergaberecht mit seinen Soll-Bestimmungen zum Personalübergang zum Schutz der Beschäftigten schon heute bietet, müssten konsequenter umgesetzt werden.
Torsten Westphal kündigte an, dass die EVG den konstruktiven Dialog mit der Politik, den Verbünden und allen anderen Auftraggebern suchen werde, um die Fehlentwicklungen im politisch gewollten Wettbewerb zu stoppen. Denn eines sei doch völlig klar: „Unternehmen, deren Geschäftsmodell Lohndumping ist, werden letztlich auf der Strecke bleiben. Daran kann Niemand ein Interesse haben. Auch wir nicht, im Sinne unserer dort beschäftigten Mitglieder“, machte der neu gewählte EVG-Vorsitzende deutlich.
Für die Beschäftigten sei zudem wichtig, dass die Frage des Jobtickets endlich geklärt werde. „Die DB AG hat sich im Tarifvertrag dazu verpflichtet, entsprechende Lösungen anzubieten. Gleiches muss bei den NE-Bahnen gelingen“, so Torsten Westphal. Noch ist das Ergebnis unbefriedigend, obwohl es in den Bundesländern schon positive Beispiele gibt.