"Es war Demokratie pur"

Allzu oft hat man nicht die Gelegenheit, Geschichte zu schreiben. Die gut 200 Eisenbahnerinnen und Eisenbahner, die am 14. Februar 1990 in Berlin zusammenkamen, taten es. Vor 25 Jahren gründeten sie die erste freie Eisenbahnergewerkschaft auf dem Gebiet der ehemaligen DDR - die Gewerkschaft der Eisenbahner, GdE.

Allzu oft hat man nicht die Gelegenheit, Geschichte zu schreiben. Die gut 200 Eisenbahnerinnen und Eisenbahner, die am 14. Februar 1990 in Berlin zusammenkamen, taten es. Vor 25 Jahren gründeten sie die erste freie Eisenbahnergewerkschaft auf dem Gebiet der ehemaligen DDR - die Gewerkschaft der Eisenbahner, GdE.

Jahrzehntelang waren die Beschäftigten der Reichsbahn in der IG Transport und Nachrichtenwesen (IG TuN) organisiert. Die IG TuN war Teil des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB), der allerdings fester Bestandteil des ideologisch überformten, zentralistischen Machtapparats der DDR war. Eine echte Interessenvertretung waren der FDGB und seine Mitgliedsgewerkschaften nicht.

Schon im Herbst 1989, im Zuge der „Wende“, gab es erste Bestrebungen, eine eigenständige, freie Eisenbahnergewerkschaft zu gründen. Am 14. Februar 1990 kamen gut 200 Delegierte im nagelneuen FDGB-Kongresszentrum an der Jannowitzbrücke zusammen, um eine Satzung zu verabschieden und einen Vorstand zu wählen. „Hart wurde gerungen, auf dem in der DDR noch glatten Parkett demokratischer Spielregeln“, berichtete der „Deutsche Eisenbahner“, die Zeitschrift der GdED. „Herzerfrischend war die Art zu diskutieren, beeindruckend die Ernsthaftigkeit beim Bemühen, die alten, ausgetretenen Pfade demokratischer Enthaltsamkeit ein für allemal zu verlassen. Kurz, es war Demokratie pur.“

1.444 Vorschläge und Anträge wurden bearbeitet. Kurz vor Mitternacht stand es fest: die neue Gewerkschaft würde Gewerkschaft der Eisenbahner (GdE) heißen - der Anklang an die westdeutsche GdED war bewusst gewählt. Denn bereits vorab „wurde das Ziel formuliert, im Zuge der Einheit Deutschlands, die Vereinigung beider deutscher Eisenbahnergewerkschaften anzustreben“, schreibt Peter Rothe. Er kam als Delegierter des Eisenbahn-Fährkomplexes Mukran nach Berlin und wurde zum Vorsitzenden der GdE gewählt.

„Da standen wir nun als neuer Vorstand, alle ohne Erfahrung, was die Führung einer Gewerkschaft anbelangt, vor einem Berg schier unlösbarer Probleme“, so Peter Rothe. Für ihn und seine Vorstandskollegen - Dieter Grau, Ludwig Hartenstein, Bernhard Haasler und Dietrich Hermerschmidt - ging es zum einen um praktische Probleme: vom Aufbau der Strukturen an der Basis bis hin zur Organisation der Beitragseinnahmen. Zum anderen aber auch darum, die rund 300.000 Eisenbahnerinnen auf ihre Zukunft in einem völlig neuen gesellschaftlichen Umfeld inklusive Tarifautonomie vorzubereiten. Noch einmal Peter Rothe: „Zu einer Unzahl neuerer Gesetze und Verordnungen, die sich alles schon am bundesdeutschen Recht orientierten, war unsere Meinung gefragt oder wir wollten dort mitreden.“

Unterstützt wurde die GdE dabei von ihrer westdeutschen Schwestergewerkschaft. Bereits auf der Gründungsversammlung war der GdED-Vorsitzende Rudi Schäfer zu Gast und stimmte auf kommende Aufgaben ein: „Es geht jetzt darum, jahrzehntelang vernachlässigte Investitionen nachzuholen. Es geht darum, dieses Verkehrsmittel modern und damit schnell und noch leistungsfähiger zu machen.“ Kollegen wie Willy Klukas, Karl-Heinz Zimmermann und Hartmut Kusche - um nur einige zu nennen - leisteten hier hervorragende Arbeit.

Wenige Wochen später, am 28. April 1990, erfolgte, ebenfalls in Berlin, die Gründung der GDBA-Ost. Beide ostdeutschen Gewerkschaften verschmolzen im Oktober desselben Jahres mit ihren westdeutschen Pendants.