175 Jahre Thüringer Bahn

Sie ist eine der Schlagadern im Streckennetz zumindest unserer Region - die als „Thüringer Bahn“ bezeichnete Verbindung zwischen Saale und Werra. Am 19.12.1846 fuhr der erste reguläre Zug zwischen Weißenfels und Weimar, zum 01.04.1847 erfolgte die Inbetriebnahme des Abschnittes zwischen Weimar und Erfurt, ab 10. Mai desselben Jahres ging es weiter bis Gotha und am 24. Juni 1847 schließlich nach Eisenach. Gut zwei weitere Jahre später wurden dann schließlich Gerstungen und Bebra auf der Schiene erreicht.

Vor noch nicht allzu langer Zeit wurden bei solchen Jubiläen ganze Festwochen veranstaltet und Ausstellungen mit Sonderfahrten zelebriert. Es mag der Pandemie und hoffentlich nicht etwa Desinteresse und Gleichgültigkeit geschuldet sein, dass sich diesbezüglich rund um die Thüringer Landeshauptstadt offenbar nichts dergleichen tut. Dann wollen wenigstens WIR das Ereignis ein klein wenig würdigen!

Welche Bedeutung der Eisenbahnbau für die Mobilität der Menschen, aber auch für die wirtschaftliche und regionale Entwicklung einst hatte, ist bereits vielfach beschrieben worden. So zieht die Entwicklung des Schienenverkehrs oft auch eine beispielhafte Linie durch die Zeitgeschichte. Einschließlich deren trüben Kapitel. In Weimar zweigte vor acht Jahrzehnten die Buchenwaldbahn vom ehemaligen Staatsbahnhof ab. Tausende Häftlinge wurden auf ihr ins Konzentrationslager transportiert. Der errichtete Gedenkweg entlang der alten Trasse bildet heute einen scharfen Kontrast zur Hochkultur von Goethe, Schiller, Wieland und Herder. Er sollte durchaus zu einem Weimar-Besuch dazugehören, mit seinem Endpunkt am früheren Bahnhof Buchenwald, der Anfang der neunziger Jahre durch damalige junge GdED-Mitglieder als Mahnmal wiedererrichtet wurde.

Zu DDR-Zeiten war die Thüringer Bahn, neben ihrer immensen Bedeutung für den Reise- und Güterverkehr insgesamt, auch der tägliche Weg für hoch interessante Zugläufe. Die Interzonenzüge verkehrten, etwa zwischen Leipzig und Frankfurt am Main, mit Lokwechsel in Erfurt (wo in zwei ansässigen Bahnbetriebswerken auch die legendäre Baureihe 01 beheimatet war), etwas Besonderes war dabei der einstige D 457 von Frankfurt/Main nach Frankfurt/Oder, scherzhaft als „Frankfurter S-Bahn“ bezeichnet. Das nächtliche Zugpaar Warschau-Paris führte eine Zeitlang sogar Kurswagen von Moskau nach Madrid mit sich. 

Einmal in der Woche stand ein lupenreiner Wagenzug sowjetischer Breitspurwagen im Erfurter Hauptbahnhof, um als D 1192/1193 bis nach Brest zu fahren. Und natürlich nicht zu vergessen die „Zitteraale“, die ohne Verkehrshalt zwischen Westberlin und der alten Bundesrepublik verkehrten und deren eventueller außerplanmäßiger Halt auf DDR-Gebiet als Bahnbetriebsunfall gewertet und geahndet wurde. Auch der Städte-Express Rennsteig Meiningen-Berlin und der „Städteschnellverkehr“ Richtung Hauptstadt ist vielen älteren Kolleg*innen noch gut in Erinnerung.

Daneben war die Trasse voll belegt vom auch sehr umfangreichen Güterverkehr. Die Thüringer Bahn zählte zu den hochbelastetsten Strecken der Deutschen Reichsbahn, verbunden mit einer hohen Verspätungsanfälligkeit. Die zahlreichen Blockstellen, so in Darnstedt und Denstedt, in Ulla, Niederzimmern und Azmannsdorf, in Hochheim und Marienthal konnten daran nicht viel ändern.

Mit und vor allem nach dem Mauerfall wurde fast alles anders. Das Verkehrsaufkommen brach ein, die durch den Zerfall der Wirtschaft und die fatale Treuhandpolitik stark reduzierten Güterströme verlagerten sich zudem in großen Teilen auf die Straße. Immerhin feierte der InterCity bei der (noch= Deutschen Reichsbahn mit seinem Laufweg Leipzig - Frankfurt/Main auch auf der Thüringer Bahn seine Premiere. Nicht mehr viele wissen, dass dessen Halt in Weimar durch eine handstreichartige Guerilla-Aktion unter dem Kommando damaliger aktiver GdED-Kollegen erkämpft wurde.   

Es folgte eine Phase von Fehlentscheidungen, die zum Teil bis heute nachwirken. Massenhaft wurde nicht nur Personal abgebaut, sondern auch Güterverkehrsanlagen, Weichen und Gleisverbindungen liquidiert, gegen jede Vernunft und auch trotz der Warnungen vieler kundiger Eisenbahner*innen. Die fehlenden Ausweich- und Kreuzungsmöglichkeiten in Hopfgarten zwischen Erfurt und Weimar beispielsweise haben schon immense Verspätungsminuten verursacht, die es nicht hätte geben müssen, bis zum heutigen Tag. Der Erfurter Güterbahnhof wurde praktisch geschleift, das fast gegenüber errichtete so genannte Güterverkehrszentrum wurde viel zu klein dimensioniert und von seiner Leistungsfähigkeit krass überschätzt. Die Zentralisierungsstrategie im Stellwerksbereich ließ von den einst zahlreichen personenbedienten Dienstposten entlang der Strecke nur noch jene in Großheringen und Weimar übrig, der große Rest der Strecke bis Neudietendorf wird heute aus Leipzig betriebszentralistisch gesteuert danach „übernimmt“ Eisenach. 

Auf den allermeisten Bahnhöfen sucht man heute vergeblich nach auch nur noch einem Personal oder menschlichen Ansprechstelle. Der politisch durchgepeitschte Wettbewerb im Schienenpersonennahverkehr führt in der modernen Welt zum Beispiel dazu, dass jedes der drei zwischen Erfurt und Weimar im Auftrag des Landes verkehrende Eisenbahnverkehrsunternehmen bei Störungen oder baubedingten Sperrungen seinen eigenen Schienenersatzverkehr bestellt bzw. im Akutfalle ein Windhundrennen um die wenigen verfügbaren Busse einsetzt, das entsprechende Info-Chaos eingeschlossen. Und fragt ein Reisender nach einer übersichtlichen Auflistung aller verkehrenden Züge zwischen Weimar und Erfurt, so bekommt er im günstigsten Fall und wenn er Glück hat, drei verschiedene Faltblätter in die Hand gedrückt, für jedes Unternehmen für die jeweils eigenen betriebenen Linien.

Erfurt selbst wurde als Verknüpfungspunkt mehrerer Neubau- und Ausbaustrecken inzwischen zu einem bundesweit bedeutsamen Fernverkehrsknoten entwickelt. Im aktuell entwickelten Deutschlandtakt-Konzept spielt die Thüringer Landeshauptstadt eine Hauptrolle. So bleibt zu hoffen, dass es eine wirkliche positive weitere Entwicklung geben wird, nicht nur für die Thüringer Bahn.

Das wichtigste Element in der 175jährigen Geschichte soll und darf jedoch nicht vergessen, sondern soll als krönender Abschluss hervorgehoben werden. Es sind die Menschen, die über eindreiviertel Jahrhunderte hinweg den Bahnbetrieb erst ermöglicht haben. Ungezählt die Arbeitsstunden der Instandhalter und Stellwerksbeschäftigten, unüberschaubar die Aufopferung der Rangierer, Wagenmeister, Lok- und Zugpersonale, nicht zu ermessen die Einsätze im Abfertigungs- und Servicebereich, in den Verwaltungsabteilungen und wo auch immer. All den Eisenbahnergenerationen vor uns, und natürlich all denen, die heute den Betrieb ermöglichen, sei anlässlich des Jubiläums gedankt, und zwar mit Hochachtung. Dass diese Geschichte auch stets eine Geschichte von sozialen Kämpfen für die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen war, und aktive betriebliche wie gewerkschaftliche Interessenvertretung auch heute unabdingbar ist, gehört bei jedem Rück- und Ausblick natürlich mit dazu und hat in unserem kollektiven Bewusstsein seinen festen Platz. In diesem Sinne: auf in Richtung zweihundertstem Streckenjubiläum!

Text: Dietmar Ernst von der BG Netz Erfurt