Mehr als 20 Jahren ist es her, dass die Beschäftigten des Werks Nürnberg mit einem 13-wöchigen Hungerstreik die Schließung abwenden konnten. Jetzt ist die Zukunft des Standorts erneut unklar.
Die Enttäuschung ist groß, bei den Kolleginnen und Kollegen der Fahrzeuginstandhaltung in Nürnberg - und auch das Unverständnis. „Dass sich der Zuschnitt unserer Aufgaben ändert, damit können wir umgehen. Vor 30 Jahren haben wir Dieselloks gewartet, nun sollen wir uns auf Nahverkehrszüge konzentrieren, weil die ICEs wegfallen werden. Das ist letztlich eine unternehmerische Entscheidung“, macht EVG-Betriebsrat Gerald Pihale deutlich. Dass aber die Mitbestimmung in diese Pläne der zentralen Leistungsplanung bislang so gut wie gar nicht eingebunden worden sei - und damit die Betriebsräte - das sei ein Ding der Unmöglichkeit, kritisiert er.
„Eigentlich wollten wir mit unseren Kunden auf Augenhöhe kommunizieren, das haben wir vereinbart“, ergänzt EVG-Betriebsrat Benedikt Bier. Dies sei aber schon lange nicht mehr der Fall. „Letztlich sind wir nur der Dienstleister und das lässt uns der Fernverkehr als Auftraggeber sehr deutlich spüren“, macht er deutlich.
Bevor ein ICE zur FZI nach Nürnberg kommt, fahren Kollegen ins jeweilige BW und schauen sich den entsprechenden Zug genau an. „So verschaffen wir uns frühzeitig einen Überblick, welche Arbeiten auf uns zukommen. Ziel ist, den voraussichtlichen Aufwand besser planen zu können“, erläutert EVG-Betriebsrat Christian Götz. Teilweise wenige Stunden vor der geplanten Zuführung würden vom Auftraggeber dann noch aktuelle Schäden gemeldet. Doch diese Information wäre immer öfter unvollständig. Damit erweise sich der Reparaturaufwand häufig als wesentlich umfangreicher als gedacht.
Meine fachliche Kompetenz und die meiner Kollegen wird weiter gebraucht. Das Wichtigste ist, weiterhin arbeiten zu können.
Stefan Rascher, Gruppenführer Mechanik Fernverkehr
Die Folge: der ICE steht länger in der Instandhaltung als geplant. Das allein wäre kein so großes Problem, wenn sich dadurch nicht die Zuführung des nächsten ICE verzögern würde. „Früher fuhr der eine Zug raus und der andere rein. Heute kommt der nächste ICE erst, wenn der vorangegangene auch tatsächlich abgenommen ist. Das verursacht deutlichen Leerlauf. Dass die Produktivität so sinkt, ist eigentlich hausgemacht“, stellt Benedikt Bier fest.
Ein aktueller Arbeitsschwerpunkt im Werk Nürnberg ist die mittlerweile zweite Verjüngungskur für den ICE 1, die Lebensdauerverlängerung (LDV). Von 1988 bis 1993 wurde der erste Hochgeschwindigkeitszug der DB AG gebaut; insgesamt rund 60 Einheiten. „Die Reisenden lieben den ICE 1, weil er mehr Platz als jeder andere Nachfolger dieser Baureihe bietet. Und er ist vom Aufbau sehr robust, ein echtes Arbeitstier, das noch auf Laufleistung ausgelegt ist“, erklärt Benedikt Bier.
Wenn wir nur noch Nahverkehr machen, kommen sicher auch andere Baureihen ins Werk. Das sorgt für Abwechslung und neue Herausforderungen.
Bernd Schreiber, Gruppenführer S-Bahn Türen
Dem ICE 1 haben sie zu verdanken, dass es das Werk in Nürnberg überhaupt noch gibt. 2001 sollte der Standort eigentlich geschlossen werden. „Dann gab es Überlegungen, die erste Modellreihe der Hochgeschwindigkeitszüge durch ein Redesign wieder auf den neuesten Stand zu bringen. Der Auftrag ging nach Nürnberg, das hat uns gerettet“, so Benedikt Bier. Neben der Lebensdauerverlängerung der „alten Flotte“ werden aber auch die erforderlichen Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten an der ICE 3-Flotte durchgeführt. Das Werk verfügt, als eines der wenigen schweren Instandhaltungswerke in Deutschland, über eine mehr als 200 Meter lange Halle, in die ein kompletter ICE 3 passt. „Den können wir in ganzer Länge anheben, um beispielsweise die Radsätze zu tauschen."
Wenn es gelingt, neue Kunden zu gewinnen, mache ich mir um die Zukunft wenig Gedanken. Die notwendige Fachkompetenz haben wir und viele motivierte Mitarbeitende auch.
Sascha Thiem, Referent Produktionsplanung
Dass die ICEs aus Nürnberg künftig in Krefeld und Cottbus instandgesetzt werden sollen, schmerzt da schon sehr. „Wir haben hier viele Spezialisten, eine eigene Lackiererei, in der Halle gibt es eine durchgehende Oberleitung und wir können auf drei Ebenen arbeiten - es ist alles da“, erläutert Betriebsrat Gerald Pihale. Und doch wird 2026 Schluss sein. Dann stehen nur noch die roten Züge des Nahverkehrs in den Werkshallen, die „weiße Flotte“ wird dann Geschichte sein.
Für Stefan Rascher, Gruppenführer Mechanik Fernverkehr, stellt das einen großen Einschnitt dar. „Seit 37 Jahren arbeite ich am ICE, aber ich versuche positiv zu denken. Meine fachliche Kompetenz und die meiner Kollegen wird weiter gebraucht. Das Wichtigste ist, weiterhin arbeiten zu können“, sagt er.
Bernd Schreiber, Gruppenführer S-Bahn Türen, freut sich hingegen. „Wenn wir nur noch Nahverkehr machen, kommen sicher auch andere Baureihen ist Werk. Das sorgt für Abwechslung und neue Herausforderungen“, stellt er fest.
Sascha Thiem, Referent Produktionsplanung, sieht in der unternehmerischen Entscheidung, in Nürnberg nur noch elektrische Triebzüge instand zu setzen, ebenfalls eine Chance. „Wenn es gelingt, neue Kunden zu gewinnen, mache ich mir um die Zukunft wenig Gedanken. Die notwendige Fachkompetenz haben wir und viele motivierte Mitarbeitende auch“, macht er deutlich. Schon heute werden in Nürnberg Nahverkehrszüge auch aus der Region Rhein-Löhne, dem Sauerland und Baden-Württemberg gewartet. Kapazität für mehr ist vorhanden.
Daniel Strobel, Leiter der Produktionseinheiten Linienfertigung ICE 1 und 3 sieht die bevorstehenden Veränderungen mit einem lachenden und einem weinenden Auge. „Der ICE ist hier seit 1989 die führende Produktreihe. Aber auch wenn wir uns nun umstellen müssen, sehe ich das positiv. Der Nahverkehr bietet unheimliche Potenziale. Für die S-Bahn München stehen beispielsweise 2030 die ersten Revisionen an. Solche Aufträge müssen wir an Land ziehen“, stellt er fest.
„Für unsere Kolleginnen und Kollegen ist in erster Linie wichtig, dass sie ihre Arbeit behalten. Ob sie einen ICE instandsetzen oder einen elektrischen Triebzug aus dem Nahverkehr, das ist erst einmal nebensächlich“, erläutert Betriebsrat Gerald Pihale. Trotzdem bleibe die Ungewissheit. Ob die Belegschaft in Gänze bleiben könne oder ob Stellen abgebaut werden müssen, sei beispielsweise immer noch nicht beantwortet.
Der ICE ist hier seit 1989 die führende Produktreihe. Aber auch wenn wir uns nun umstellen müssen, sehe ich das positiv. Der Nahverkehr bietet unheimliche Potenziale. Für die S-Bahn München stehen beispielsweise 2030 die ersten Revisionen an. Solche Aufträge müssen wir an Land ziehen.
Daniel Strobel, Leiter der Produktionseinheiten Linienfertigung ICE 1 und 3
„So was geht einfach nicht. Da werden Entscheidungen verkündet, ohne das kommuniziert wird, welche Konsequenzen das letztlich für jeden einzelnen Arbeitsplatz vor Ort hat“, kritisiert Betriebsrat Christian Götz. Nürnberg ist da kein Einzelfall. Derzeit rumort es in allen Werken. Wir haben uns umgehört:
Um solche „Auswüchse“ zu verhindern, fordern die EVG-Betriebsräte mit Nachdruck ein Gesamtkonzept. „Wir haben uns vernetzt und stehen in engem Austausch untereinander“, sagt EVG-Betriebsrat Christian Götz in Nürnberg. „Wir sehen nicht nur einzelne Standorte, sondern die Fahrzeuginstandhaltung in Gänze. Deshalb kämpft auch nicht jeder für sich allein, wir wollen kollegial Gesamtinteressen vertreten.“ Der Kampf hat gerade erst begonnen.