1. Mai: „Wir brauchen mehr Tarifbindung und keine Drohgebärden aus der Politik“

Rund 333.000 Menschen sind am Mittwoch zum Tag der Arbeit auf die Straße gegangen. Auf 450 Veranstaltungen und Kundgebungen im gesamten Bundesgebiet feierte der DGB den 1. Mai.

„Mehr Lohn, mehr Freizeit, mehr Sicherheit" - so lautet das Motto der diesjährigen DGB-Feiern zum 1. Mai. Der EVG-Vorsitzende Martin Burkert machte in seiner Rede in Ludwigshafen deutlich, dass diese drei Ziele nur mit starken Tarifverträgen zu erreichen seien.

„Wir Gewerkschaften haben in Zeiten von Krise und Inflation mehr für die Beschäftigten herausgeholt - auch bei der EVG“, betonte er. Mit rund 50 Eisenbahnverkehrsunternehmen sei vor gut einem halben Jahr über die ganze Branche hinweg verhandelt worden, mit dem Ziel, solidarische Tarifverschlüsse zu vereinbaren. Die hätten vor allem kleinen und mittleren Einkommen ein deutliches Plus gebracht. „Durchschnittlich konnten wir 14 Prozent mehr Lohn erzielen; der beste Abschluss überhaupt.“

„Die Schuldenbremse ist eine Investitions-Bremse, eine Zukunfts- und Wohlstands-Bremse.“

Martin Burkert, EVG-Vorsitzender

Trotzdem sei man noch lange nicht am Ziel - weder als EVG noch als DGB. „Wir brauchen mehr Tarifbindung – und keine Drohgebärden aus der Politik“, erklärte der EVG-Vorsitzende vor hunderten Gewerkschaftern am Karl-Kornmann-Platz in Ludwigshafen, mit Blick auf Äußerungen von Robert Habeck, Friedrich Merz und Christian Lindner. Die wollten das Streikrecht abschaffen; das aber sei mit den Gewerkschaften nicht zu machen.

Und als ob das alles nicht schon schlimm genug wäre, wolle der Finanzminister den Beschäftigten jetzt „mehr Lust auf Überstunden machen“. Lebensfremd sei das. Allein bei der Deutschen Bahn seien im vergangenen Jahr 2,8 Millionen Überstunden geleistet worden. „Herr Lindner, hören Sie auf mit Ihrem lebensfernen Gerede! Sorgen Sie lieber für gerechte Bedingungen in der Arbeitswelt“, forderte Burkert.

Es sei höchste Zeit für eine Tarifwende. „Wir fordern, dass deutschlandweit künftig in jedem Vergabe-Verfahren im Nah- und Regionalverkehr repräsentative Tarifverträge und Ausbildungs-Quoten verpflichtend sind. Es muss vorgeschrieben sein, dass ein neuer Betreiber allen Beschäftigten ein Übernahme-Angebot machen muss. Und es müssen mindestens die gleichen Arbeits- und Sozial-Bedingungen gelten wie beim bisherigen Betreiber.“ Nur mit Bus und Bahn werde es gelingen, die Klimaziele zu erreichen.

Deshalb müsse investiert werden, vor allem in die Infrastruktur. Aber bei den Investitionen, die unser Land voranbringen, schaue es zappenduster aus. „Wir Gewerkschaften sind überzeugt: Die Schuldenbremse ist eine Investitions-Bremse, eine Zukunfts- und Wohlstands-Bremse. Statt die schwarze Null im Blick zu haben, muss der Staat jetzt endlich in Infrastruktur und Daseinsvorsorge investieren. Darüber muss in der Politik ernsthaft gesprochen werden“, forderte der EVG-Vorsitzende.

Gesprochen werden müsse dringend auch über die Zukunft von DB Cargo. Dort sollen jetzt 1.800 Arbeitsplätze unter dem Deckmantel der Transformation gestrichen werden. „Damit wollen die Damen und Herren im Cargo-Vorstand die EU besänftigen - die gerade dagegen klagt, dass Deutschland seiner defizitären Güterbahn finanziell unter die Arme greift. Denn die Bürokraten aus Brüssel wittern Wettbewerbs-Vorteile für den klimaschonenden Güterverkehr auf der Schiene“, kritisierte Burkert.

„Was da gerade passiert, ist ein Angriff auf die Mitbestimmung, das ist ein Angriff auf uns alle. Das lassen wir nicht zu.“

Martin Burkert, EVG-Vorsitzender

Und was tue der Bahn-Vorstand? Der nutze die Gunst der Stunde und wolle das Unternehmen „gesundschrumpfen“. Wertschöpfung soll ausgelagert werden, das Unternehmen zur Plattform umgebaut werden – gegen den erklärten Willen der Mitbestimmung. Die gesamte Eisenbahnerfamilie sehe deshalb Rot.

„Auch hier bei euch in Ludwigshafen machen sich viele Cargo-Kolleginnen und Kollegen Sorgen um ihre berufliche Zukunft. Was da gerade passiert, ist ein Angriff auf die Mitbestimmung, das ist ein Angriff auf uns alle. Das lassen wir nicht zu“, erklärte der EVG-Vorsitzende unter lang anhaltendem Beifall.

1. Mai 2024

„Die Arbeiterbewegung ist so lebendig wie seit langem nicht“

Mehr als 7.000 Kolleginnen und Kollegen zeigten in Berlin Flagge für mehr Lohn, mehr Sicherheit und mehr Freizeit. Die EVG war prominent vertreten und stellte mit der stellvertretenden EVG-Vorsitzenden Cosima Ingenschay die Hauptrednerin. Ingenschay begrüßtet zu Beginn alle Neumitglieder, die sich im letzten Jahr den Gewerkschaften des DGB angeschlossen haben. 

„Wir sind fast 6 Millionen Menschen und wir werden wieder mehr: 437.000 neue Kolleginnen und Kollegen allein im letzten Jahr. Manche sagen, die Arbeiterbewegung gibt es nicht mehr. Wir sagen: „Die Arbeiterbewegung ist so lebendig wie seit langem nicht“, betonte Ingenschay unter Applaus vor dem Roten Rathaus.

In Richtung des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegener, der sich für eine Reform der Schuldenbremse aussprach, machte sie deutlich: „Wir brauchen Investitionen in Klima, Wirtschaft und den sozialen Zusammenhalt - auch dafür gehen wir an diesem 1. Mai auf die Straße!“

An den Finanzminister adressierte die Gewerkschafterin: „Sie sagen, es ist kein Geld da. Kein Geld für das Klima. Kein Geld für den Umbau der Industrie. Kein Geld für die Kindergrundsicherung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist genug Geld da. Man muss es nur anständig verteilen und auch dafür stehen wir hier gemeinsam."

Auch die Eisenbahner-Themen spielten selbstverständlich eine wichtige Rolle. So ging die stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende von DB Cargo auf die Kahlschlagpläne in dem Unternehmen ein: „Während man hier im politischen Berlin immer wieder über neue Klimaziele redet, schafft man im Schienengüterverkehr Fakten – Zulasten des Klimas. Wer die DB Cargo als Rückgrat des Schienengüterverkehrs zerschlagen will, der sollte nicht von Klimaschutz sprechen. Wusstet ihr, dass ein Güterzug 52 LKWs ersetzt? Wir brauchen mehr Güter auf der Schiene und das geht nicht gegen die Beschäftigten!“

„Wir brauchen Investitionen in Klima, Wirtschaft und den sozialen Zusammenhalt - auch dafür gehen wir an diesem 1. Mai auf die Straße!“

Cosima Ingenschay, Stellvertretende EVG-Vorsitzende

An die Kolleginnen und Kollegen der Berliner S-Bahn gerichtet, kritisierte Ingenschay den Vergabe- und Ausschreibungswettbewerb im SPNV und forderte ein scharfes Tariftreue- und Vergabegesetz: „Wenn ihr wissen wollt, wohin stumpfer Wettbewerbsglaube und Ausschreibungswahnsinn führen können, dann fragt die S-Bahner in dieser Stadt!“ - und spielte damit auf die Zerteilungs- und Wettbewerbspläne der ehemaligen grünen Verkehrssenatorin Günther an.

„Für mich ist wichtig, dass die Jugend und die Älteren wieder mehr zusammenhalten“

Landauf, landab sind auch in diesem Jahr wieder Hunderte ehrenamtliche Kolleginnen und Kollegen auf den Beinen, um auch diesen 1. Mai wieder zu einem besonderen Erlebnis werden zu lassen. So wie z.B. in Erfurt. Hier hat der Tag für Frank Helms um 8 Uhr morgens begonnen. Infostand aufbauen, Materialien auslegen, für Verpflegung für die Teilnehmenden sorgen. Seit mehr als 30 Jahren, sagt der Personaldisponent von Abellio, verbringt er so den Maifeiertag. „Für mich ist wichtig, dass die Jugend und die Älteren wieder mehr zusammenhalten. Und dass wir uns gemeinsam der Spaltung zwischen den Generationen und innerhalb der Beschäftigten entgegenstellen.“ Frank hält die Stellung am EVG-Infostand, während sich der Demonstrationszug auf den Weg durch die Innenstadt der thüringischen Landeshauptstadt macht.

Bei der Zwischenkundgebung ergreift u.a. auch Patrice Vosz von der EVG-Jugend das Mikro. Er geht auf die steigende Arbeitsbelastung in allen Branchen ein. Inzwischen beträgt die Zahl der Überstunden in Deutschland 1,3 Milliarden. Finanzminister und FDP-Chef Lindner wolle aber noch mehr Überstunden ermöglichen. „Die Folge wäre einzig und allein noch mehr ausgelaugte und übermüdete Arbeitnehmer:innen, eine noch schlechtere Work-Life-Balance für die Beschäftigten.“ Seine Empfehlung an Christian Lindner: „Ein Nebenjob als Lokführer oder Fahrdienstleiter. Dann würden Sie das wahre Leben kennenlernen und wir müssten weniger Interviews von Ihnen lesen.“

Als der Zug zur Schlusskundgebung wieder am Anger, dem zentralen Altstadtplatz, ankommt, hat sich auch Jörg Lautenbach am EVG Infostand eingefunden, stellvertretender Landesvorsitzender der EVG Thüringen und Betriebsrat bei der Bahnbau Gruppe. „Für mich war der 1. Mai schon nimmer etwas Besonderes“, sagt er. „Und als Betriebsrat weiß ich, die Probleme der Beschäftigten bleiben bestehen und nehmen immer mehr zu.“ Seine klare Schlussfolgerung: „Man muss wieder auf die Straße.“ Das sieht auch Sabine Strutz so. Sie engagiert sich in der EVG unter anderem in der ReKo Z. „Eigentlich müssten alle Beschäftigten heute auf die Straße. Damit wir für gerechte Löhne und für Demokratie in den Betrieben kämpfen können.“

Stark vertreten ist die EVG-Jugend. Paul Krackhardt von der DB InfraGo hatte am Vortag Spätschicht und muss auch heute wieder zur Spätschicht. Dennoch ist es für den jungen EVG-Kollegen selbstverständlich, an der Mai-Kundgebung teilzunehmen. „Für gute Arbeitsbedingungen muss man nicht nur in Tarifrunden kämpfen, sondern das ist eine kontinuierliche Aufgabe.“ Gerade mit Blick auf die Landtagswahlen im Herbst ist es für ihn wichtig, „auch etwas politischer auf die Themen der Beschäftigten einzugehen.“ Ein Rechtsruck würde sich nach seiner Meinung auch auf die Arbeitnehmenden auswirken. „Wir arbeiten mit Kolleginnen aus vielen Nationen zusammen. Deswegen gehe ich heute auch für Vielfalt im Betrieb und Gesellschaft auf die Straße.“

So funktioniert unser 1. Mai: mit Engagement, mit klaren politischen Positionen, mit Zusammenhalt. Und mit ehrenamtlichen Kolleg:innen, die ihre Freizeit opfern, um diesen Tag mitzugestalten. In Erfurt und allen anderen Städten, in denen wir heute auf die Straße gehen. Dafür sagen wir ganz herzlich: Danke!

1. Mai 2024