Er ist eine der ältesten Forderungen der Arbeiterbewegung: der Achtstundentag. Heute vor 100 Jahren wurde er in Deutschland gesetzliche Realität. Ein großer historischer Fortschritt – von dem allerdings nicht alle Beschäftigten profitierten.
Den Weg freigemacht hatte das sog. Stinnes-Legien-Abkommen vom 15. November 1918. Dieser Vertrag zwischen 21 Arbeitgeberverbänden und sieben Gewerkschaften gilt als die Geburtsstunde der Tarifautonomie und der Sozialpartnerschaft in Deutschland. Die Arbeitgeberverbände erkannten die Gewerkschaften als Vertreter der Arbeiterschaft an und vereinbarten die Arbeitsbedingungen durch Kollektivverträge. Unter Punkt 9 des Abkommens wurde die Einführung des Achtstundentags vereinbart.
Beweggrund der Arbeitgeber war übrigens keineswegs, dass sie plötzlich eine arbeiterfreundliche Gesinnung entwickelt hätten. Es kam darauf an: Wie kann man die Industrie retten?“ so der Stahlindustrielle und Arbeitgeberfunktionär J. Reichert am Jahresende 1918. Seine Antwort: „Inmitten der allgemeinen großen Unsicherheit, angesichts der wankenden Macht des Staates und der Regierung gibt es für die Industrie nur in der Arbeiterschaft starke Bundesgenossen, das sind die Gewerkschaften.“ Die Großindustriellen, kommentierte der Historiker Artur Rosenberg trocken, „waren in schwerster Sorge vor einer kommenden Sozialisierung. Sie waren zu allem bereit, wenn sie nur ihr Eigentum behielten.“
Wenige Tage später, am 23. November, setzte die Regierung Ebert die Vereinbarung zum Achtstundentag in einer Verordnung um, die am 1. Januar 1919 in Kraft trat.
Die Großindustriellen waren in schwerster Sorge vor einer kommenden Sozialisierung. Sie waren zu allem bereit, wenn sie nur ihr Eigentum behielten.
Allerdings: Nicht alle Beschäftigten profitierten davon. Viele Eisenbahnerinnen waren ausdrücklich ausgenommen! § 4 Nr. 6 der Regierungsverordnung definierte eine weitreichende Ausnahme: „Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden keine Anwendung … auf die von den Verwaltungen der Eisenbahnen, der Straßenbahnen, der Wasserstraßen oder anderer, dem allgemeinen Verkehr dienender Verkehrsmittel sowie von der Post- und Telegraphenverwaltung im eigentlichen Verkehrsbetriebe beschäftigten Personen.“
Sie bekamen 1922 stattdessen die „Vorläufigen Dienstdauervorschriften für das Betriebs- und Verkehrspersonal der Deutschen Reichsbahn“, abgekürzt DDV. Hier wurde zwar im Grundsatz an der achtstündigen Arbeitszeit festgehalten. Aber: nur die tatsächliche Arbeitsleistung wurde als Arbeitszeit gewertet, nicht die „Dienstbereitschaft“. Was in der betrieblichen Praxis oftmals zu unvorstellbar langen Dienstzeiten führte.
Und von wegen „vorläufig“: Die DDV fiel erst 1974! Mehr als zehn Jahre hatte unsere Vorläufergewerkschaft GdED gegen die DDV geklagt. Der GdED-Vorsitzende Philipp Seibert nannte die Einführung der 40-Stunden-Woche bei der Bundesbahn einen „Markstein in unserer Gewerkschaftsgeschichte“. Die DDV „ersparten der Bahn Milliardenbeträge. Die Eisenbahner mussten diese mit auspresserischen Arbeitszeiten erschuften. Diese Epoche ist tot, wir beginnen mit dem sozialen Rechtsstaat.“