Tag der Menschen mit Behinderung: „Anteil der unsichtbaren psychischen Erkrankungen nimmt zu“

Nicht nur Betriebsräte und JAVen, sondern auch die Vertrauensleute der Schwerbehinderten und Gleichgestellten (SVP) werden 2026 gewählt. Über ihre Aufgaben und das, was sie bereits im DB Konzern erreicht haben, haben wir mit dem Konzern-SVP Steffen Pietsch und seinem Stellvertreter David Warwas gesprochen.

Steffen, David, viele sprechen von Inklusion - aber wie steht eigentlich die Deutsche Bahn bei diesem Thema da?

Steffen: Wir haben da verschiedene Instrumente, angefangen vom Inklusionszentrum, das direkt beim Recruiting angesiedelt ist. Wenn ein:e schwerbehinderte: Bewerber:in abgelehnt wird, kümmern sich die Kolleg:innen darum, im Konzern einen anderen Arbeits- oder Ausbildungsplatz zu finden. Wir haben lange für dieses Instrument gekämpft, aber der Konzern hat es letztendlich umgesetzt und nun läuft es.

David: Das ist auch ein Alleinstellungsmerkmal, von anderen werden wir darum beneidet. Und wir hoffen, dass es auch erhalten bleibt, wenn jetzt, wie es heißt, wieder mehr Verantwortung in die Regionen gehen soll. Dieses Know-how sollte nicht verloren gehen.

Steffen: Auch haben wir mittlerweile schon seit vielen Jahren eine eigenständige Konzern-BV Inklusion, in der alle Themen geregelt sind, die unsere Klientel betreffen: Arbeitszeit, Gestaltung des Arbeitsplatzes, bis hin zur Beschäftigung in den Integrationswerkstätten, in denen Kolleg:innen weiterbeschäftigt werden, die größtenteils einen Arbeitsunfall bei der DB AG hatten und nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten können. Und zwar nach Tarif bezahlt! Also im Moment ist die DB noch vorbildlich, aber natürlich machen wir uns Gedanken, wie das bei eventuell anstehenden Strukturänderungen gerettet werden kann.

Nun ist 2025 ja ohnehin ein Jahr der Unsicherheit gewesen, Stichpunkte S3, Cargo, FZI. Ist das für behinderte Kolleg:innen eine doppelt schwierige Situation?

Steffen: Vor zwei Jahren hätte ich noch gesagt, wenn Leute den Konzern verlassen, finden sie woanders einen neuen Arbeitsplatz. Aber wenn man heute die Zeitung aufschlägt, liest man: Hier fallen 20.000 Stellen weg, dort werden 3000 weniger geplant ... Der Arbeitsmarkt sieht heute wieder so aus, dass wesentlich mehr Menschen eine Arbeit suchen, als Arbeit da ist. Und da sind immer die mit einer Einschränkung oder Behinderung am schlechtesten dran.

David: Die Leute verlassen die DB nach Möglichkeit aber auch nicht. Da überwiegen dann doch die sozialen Aspekte der Beschäftigung bei der DB.

Wir haben über das Recruiting gesprochen - aber welche Möglichkeiten haben denn die SVP, wenn die Leute an Bord sind?

Steffen: Bei personellen Maßnahmen, die einen Schwerbehinderten betreffen, sind wir prinzipiell zu beteiligen. Wir müssen im Vorfeld angehört werden. Gegebenenfalls können wir eine Entscheidung aussetzen, allerdings nur für eine Woche, dann muss sich neu befasst werden. Diese Möglichkeiten werden von den örtlichen SVP auch intensiv genutzt.

David: Wir arbeiten auch gut mit den Betriebsräten zusammen. Die SVP haben Mitwirkungsrechte, keine echte Mitbestimmung. Am Ende muss der Betriebsrat den entsprechenden Beschluss fassen. Das Wort Interessenvertretung schließt aber alle mit ein. Betriebsräte haben ihre Stärken, wir unsere, mit den Kenntnissen im SGB, mit der KBV. Die ja eine gute Basis ist, weil sie vieles über das Gesetz hinaus regelt.

Und was ist eure Rolle als Konzern-SVP?

Steffen: Hier kommt die Initiative in der Regel von uns. Auch die KBV ist ja auf unsere Initiative entstanden, sie ist formal eine trilaterale Vereinbarung zwischen dem Konzernvorstand, dem KBR und uns. Genau wie die KBV Gesundheitsförderung, mit der sind wir auch deutlich über das Gesetz hinausgegangen.

Ihr seid auch politisch unterwegs...

Steffen: Wir sind mit politischen Entscheidungsträgern laufend in Kontakt, das sind vor allem die behindertenpolitischen Sprecher:innen der demokratischen Bundestagsfraktionen. Denn auch im Gesetz sehen wir schon an der einen oder anderen Stelle noch Verbesserungsmöglichkeiten. In der jüngsten Legislaturperiode ist neu dazugekommen, dass eine ohne Beteiligung ausgesprochene Kündigung rechtsunwirksam ist. Das ist gut, aber wir hätten uns gewünscht, dass das auf personelle Maßnahmen generell erweitert wird. Daran müssen wir noch arbeiten.

David: Es ist aber schon ein gutes Zeichen, dass die Politiker zu unseren Veranstaltungen kommen und damit unsere Arbeit würdigen. Das sieht dann nämlich auch der Konzernvorstand, und das hilft uns auch wieder.

Wie schwer oder wie einfach ist es denn, Kandidierende für die SVP Wahlen zu gewinnen?

David: Sehr schwer. Von den örtlichen SVP haben die wenigsten eine Freistellung. Das heißt, man macht es zusätzlich zu seinen normalen Tätigkeiten. Hinzu kommt: SVP haben kein Gremium, sie sind Einzelkämpfer. Wir haben in jedem Betrieb, in dem gewählt werden kann, eine:n SVP; aber Leute dafür zu gewinnen, ist kein Selbstläufer, das ist schon mit Überzeugungsarbeit verbunden. Aber die, die es machen, sind absolut mit Herzblut dabei.

Und sind die Wahlberechtigten zu überzeugen?

David: Da sieht es gut aus: 2022 hatten wir eine Wahlbeteiligung von über 70 %. Man kennt sich vor Ort, das hilft sicherlich. Und wem geholfen wurde oder wer ein solches Beispiel kennt, der geht dann auch gerne zur Wahl. Für uns ist das wichtig, denn wenn 70 % wählen gehen, steht schon ein anderer Druck dahinter als wenn es 10 % sind.

Ein Blick über den Konzernhorizont: Wie seht ihr die Behindertenthemen in Politik und Gesellschaft?

Steffen: Es ist immer noch ein Randthema. Man muss sich aber vor Augen halten: Die Anzahl der Menschen mit Behinderungen steigt jedes Jahr um 3 - 400.000, rund 9 Millionen Menschen sind es insgesamt. In sich hat sich da auch etwas verändert, denn der Anteil der meist unsichtbaren psychischen Erkrankungen nimmt zu. Zwei Dritteln der Menschen sieht man ihre Behinderung nicht an. Und das müssen wir natürlich auch den Arbeitgebern gegenüber immer wieder deutlich machen.

 

Bei der DB AG arbeiten rund 12.500 schwerbehinderte und gleichgestellte Menschen. Sie wählen nächstes Jahr im Herbst ihre Schwerbehindertenvertrauenspersonen (SVP).

Insgesamt engagieren sich rund 270 örtliche Schwerbehinderten-Vertrauenspersonen. Auf der Grundlage des Neunten Buches Sozialgesetzbuches (SGB IX) kümmern sie sich darum, die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Kollegen und Kolleginnen zu verbessern und überwachen die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben.

Die SVPn wählen auf der Ebene der Gesellschaften/Unternehmen die Gesamtschwerbehindertenvertrauensperson und deren Stellvertreter (GSVP) und für den Konzern der Deutschen Bahn AG eine Konzernschwerbehindertenvertretung. Derzeit sind das Steffen Pietsch und acht Stellvertretende. Sie verhandeln unmittelbar mit der Konzernführung.