Soziale Selbstverwaltung: „Auf keinen Fall aus der Hand geben!“
Kein Tag vergeht, an dem nicht offen oder verklausuliert Arbeitnehmer:innenrechte in Frage gestellt werden. Dazu gehört auch die Absicherung in den sozialen Sicherungssystemen. Die sozialpolitischen Zukunftswerkstätten der EVG und unserer Bildungsgesellschaft EVA geben alljährlich die Möglichkeit zur Standortbestimmung.
Im November kamen diesmal rund 60 interessierte Kolleg:innen nach Dortmund. Christian Runzer von der Knappschaft Bahn See (KBS) informierte über aktuelle Entwicklungen in der Rentenpolitik. Da sticht natürlich das Rentenpaket 2025 hervor, und darin wieder zwei Punkte: die Stabilisierung des Rentenniveaus sowie die sog. Aktivrente.
Die Stabilisierung des Rentenniveaus auf 48% bis 2031 ist zwar im schwarz-roten Koalitionsvertrag vereinbart und inzwischen auch vom Bundeskabinett beschlossen - und dennoch umstritten, nämlich innerhalb der CDU. Die Junge Union kritisiert die Nachwirkungen dieser Regelung über 2031 hinaus und befürchtet eine unfaire Belastung der jüngeren Generation.
Für die EVG ist die Stabilisierung des Rentenniveaus dringend notwendig, langfristig fordern wir eine Anhebung auf 50%. EVG-Rentenexperte Samuel Beuttler-Bohn räumte in seinem ergänzenden Vortrag mit einige Mythen rund um die Rente auf. Würde eine Stabilisierung des Rentenniveaus über 2031 hinaus die jüngeren Jahrgänge belasten? Nein, denn sie soll aus Steuermitteln und somit von der Allgemeinheit finanziert werden. Und ist der Steuerzuschuss zur Rentenversicherung nicht viel zu hoch? Auch nicht, denn er beträgt derzeit 2,7% vom Bruttoinlandsprodukt und ist damit von seinem Höchststand (3,4%, erreicht 2004) weit entfernt.
Und die Aktivrente? Sie soll künftig ermöglichen, dass Rentner:innen bis zu 2000 Euro im Monat steuerfrei dazuverdienen können. Klingt zunächst mal attraktiv, aber, wie ein Kollege in der Diskussion anmerkte: "die Leute glauben, sie bekommen was geschenkt, aber die Details guckt sich niemand an." Die EVG sieht die Aktivrente kritisch: Wer körperlich hart arbeitet, hat kaum die Chance, die Regelaltersgrenze zu erreichen - und die ist Voraussetzung, um die Aktivrente überhaupt in Anspruch nehmen zu können. Absehbar würden also eher die Gutverdienenden profitieren.
Ein Argument, das in den anschließenden Diskussion untermauert wurde: "Wenn ich in ein paar Jahren mit 67 in Rente gehe", so ein Kollege, "dann werde ich 48 Jahre unregelmäßigen Schichtdienst hinter mir haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich dann noch weiterarbeiten kann." Schichtdienst brauche eine besondere rentenrechtliche Berücksichtigung. Auch sprachen sich mehrere Kolleg:innen für einen flexibleren Renteneintritt aus, ohne dass die Rente, wie heute, gekürzt wird.
Gesetzliche Krankenversicherung: Hier hatten sich EVG und EVA einen hochkarätigen Gast eingeladen. Christine Enenkel wird ab Januar den Vorstandsvorsitz der BAHN-BKK übernehmen. In ihrem Vortrag ging sie auf die aktuellen Themen der Gesundheits- und Pflegepolitik ein. in dem sie deutlich herausarbeitete: Die Einnahmen aus dem Gesundheitsfonds können die steigenden Leistungsausgaben der Krankenkassen nicht finanzieren. Erst recht dann nicht, wenn die Politik den Krankenkassen stets neue Gesetze und Aufgaben aufbürdet, ohne für eine auskömmliche Finanzierung zu sorgen. "Man kann ins Gesetz nicht immer neue Aufgaben reinschreiben. Vielleicht muss man auch mal auf ein Gesetz verzichten." Von der Bundesregierung erwarte sie "Unterstützung, Mut und Fortüne beim Handeln." Das könne zum Beispiel so aussehen, dass man die Kassen direkt an den Einnahmen aus der Tabak- und der Alkoholsteuer beteiligt, "das könnte 30 Milliarden Euro bringen."
Die BAHN-BKK bleibe die Krankenkasse der Eisenbahner:innen. Zumal sich die EVG zur BAHN-BKK und ihren Beschäftigten bekennt und auf die weitere Eigenständigkeit der Kasse besteht. "Für uns", so die designierte Vorstandschefin, "stehen die Versicherten im Vordergrund. Wir sind vielleicht nicht die billigsten. Aber wir haben mit Beraterfirmen gesprochen und die haben gesagt: Wenn ihr Kosten sparen wollt, setzt Künstliche Intelligenz ein und streicht ein paar Servicestellen. Das haben wir abgelehnt. Wir sind eine Kasse im Wettbewerb, und wir entscheiden uns bewusst für Service und Kundenorientierung. Wir wollen auch am Wochenende erreichbar sein und wir wollen nicht, dass unsere Kunden mit KI sprechen. Und das ist nicht zum Nulltarif zu haben."
In ihrer Einordnung verwies EVG-Gesundheitsexpertin Nathalie Nieding auf eine Resolution, die die EVG auf ihrer 4. Bundeskonferenz vor ziemlich genau einem Jahr verabschiedet hat. Darin fordern wir u.a. einen Stopp der Beitragsspirale, ein solidarisches Gesundheitssystem für die Zukunft, keine weiteren politischen Eingriffe in die Reserven der Kassen und eine Entlastung der Versicherten in der stationären Pflege. Erschreckender Fakt dabei, so Nathalie: "Wir könnten diese Resolution Wort für Wort heute genauso verabschieden, es hat sich nichts an der finanziellen Lage geändert."
Auch die UVB, die Unfallversicherung Bund und Bahn, ist ein Partner der Deutschen Bahn und der EVG. Referatsleiter Gerhard Heres berichtete über die Leistungen der UVB und legte dabei vor allem den Fokus auf Unfallvermeidung. Ob Beleuchtung von Gleisanlagen oder Schutz vor Gefahrstoffen bei Arbeiten im Tunnel - die UVB kooperiert hier intensiv insbesondere mit der DB InfraGO. Viel komme auf umsichtiges Verhalten an. "Angst vor dem Gleis muss man nicht haben, aber Respekt."
Typisch für die Zukunftswerkstätten der EVG: Es folgt nicht etwa ein Vortrag auf den anderen. Der Mix der Formate ist wesentlich bunter. Dazu gehört z.B. das Speed-Dating, bei dem die Teilnehmenden in kleinen Gruppen mit Sozialpartnern der EVG wie der DEVK, unseren Fonds, der Stiftungsfamilie, der BAHN-BKK oder dem VDES ins Gespräch kommen können. Als weiteren Service für die Teilnehmenden stand ihnen eine Kollegin der Knappschaft-Bahn-See für eine Rentenauskunft zur Seite und es bestand die Möglichkeit des Gesprächs mit den Versichertensprecher:innen.
Und dazu gehörte zumindest diesmal in Dortmund das abendliche Kamingespräch, in dem der Blick über den Tellerrand geworfen wurde. Mit externen Gästen wurde diskutiert, wie die Sichtbarkeit der sozialen Selbstverwaltung erhöht werden könne. Knut Lambertin, der für den DGB im Aufsichtsrat des AOK-Bundesverbandes sitzt, brachte eine Reihe von Vorschlägen mit: "Wir stehen seitens der Politik unter Druck, die die soziale Selbstverwaltung abschaffen will oder sie gar nicht kennt. Wir sind daher gezwungen, öffentlichkeitswirksam über das bisherige Maß hinaus zu agieren, mit Veranstaltungen, Publikationen und einem eigenen Podcast"
Ute Weisenbach, Mitglied im Verwaltungsrat der Pronova BKK, sieht "mehr Frauen im Gremium" als einen entscheidenden Faktor. "Seitdem wir mehr Frauen im Verwaltungsrat haben, wird mehr nachgefragt, es wird nicht mehr nur alles durchgewunken." Und wozu überhaupt die soziale Selbstverwaltung? "Bei den Summen, die dort bewegt werden, sollten wir Gewerkschaften auf jeden Fall darauf bestehen, mitzuwirken. Auf keinen Fall würde ich das aus der Hand geben."











