Mehr Bahn für die Menschen

Das System Schiene in Deutschland ist in keinem guten Zustand. Die mangelnde Qualität des Dienstleistungsangebots auf der Schiene verärgert die Reisenden und empört die Öffentlichkeit – und auch die Beschäftigten leiden darunter. Die EVG sagt ganz klar: Das geht anders!

Derzeit sind die Chancen für die Schiene so gut wie lange nicht. Diese müssen dringend erkannt und genutzt werden. Im aktuellen Koalitionsvertrag gibt es eine Reihe positiver Elemente:

  • Mit dem „Schienenpakt“ sollen die Fahrgastzahlen bis 2030 verdoppelt und die Gütermengen auf der Schiene deutlich gesteigert werden.
  • Mit der Umsetzung des Masterplans Schienengüterverkehr soll die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene dauerhaft erhöht werden.
  • Und mit der Berufung eines “Beauftragten der Bundesregierung für den Schienenverkehr“ wird der Schiene ein neuer Stellenwert eingeräumt.

Die Bundesregierung hat sich zu ehrgeizigen Klimaschutzzielen verpflichtet und in diesem Rahmen auch Ziele für den Verkehrssektor festgelegt. Um diese zu erreichen, bedarf es einer massiven Förderung der umweltfreundlichen Schiene. Nur so kann die ökologische Verkehrswende gelingen.

Die Ursachen für die schlechte Verfassung des Eisenbahnsystems in Deutschland sind vielschichtig und haben sich über Jahre zu dem heutigen Zustand summiert.

1. Kapazitätsprobleme

1.1    

In der Infrastruktur. Sie ist zurückgebaut und seit Beginn der Bahnreform nicht ausreichend finanziert worden. Die Folge: eine überalterte, störanfällige Infrastruktur, die mehr als ausgelastet ist, die Jahr für Jahr weiter altert und deren Instandhaltung immer teurer wird.

Die EVG fordert:

  • Die Politik muss endlich beschreiben, welchen Zielzustand der Eisenbahn-infrastruktur sie erreichen will und bis wann.
  • Der Rückbau von Infrastruktur muss gestoppt werden. Derzeit betrieblich nicht benötigtes Bahngelände muss für künftiges Verkehrswachstum gesichert werden.
  • Die LuFV III muss so dotiert werden, dass bereits 2020 der „Turnaround“ hin zu einer Verjüngung und damit geringeren Störanfälligkeit der Infrastruktur erreicht werden und der Investitionsrückstau abgebaut werden kann.
  • Baustellen müssen nutzer- und kapazitätsfreundlich geplant werden - so dass sie möglichst geringen Einfluss auf den laufenden Betrieb haben.

Um das System Schiene wieder in einen soliden Zustand zu bringen und die im Koalitionsvertrag vorgegebenen Verkehrsverlagerungen auf die Schiene realisieren zu können, sind bis 2030 durchschnittlich fast 10 Mrd. Euro im Jahr erforderlich.

1.2.

Bei Fahrzeugen: Es wurde gespart, zu geringe Reserven geplant, vorschnell verschrottet. Oder es wurde seitens der Bahnindustrie zu spät bzw. in mangelnder Qualität geliefert.

Die EVG fordert: 

  • Es muss eine innovative branchenbezogene Fahrzeugstrategie entwickelt werden, mit der leistungsfähige Fahrzeuge für den Verkehr der Zukunft zur Verfügung gestellt werden können.
  • Die EVU müssen stärker als bisher Instandhaltungskapazitäten vorhalten und in rollendes Material investieren.
  • Ein ganzheitliches Werkekonzept muss sowohl die schwere als auch die betriebs-nahe Instandhaltung umfassen. 
  • Im SPNV sollten die Aufgabenträger gemeinsam mit den EVUs und der Bahnindustrie eine kompatible Fahrzeugstrategie entwickeln und in den Ausschreibungsbedingungen eine größere Anzahl von Triebfahrzeugen sowie Wagen vorsehen. 

1.2.              

Beim Personal: Die Schraube ist völlig überdreht worden. Personal wurde nur als Kostenfaktor gesehen, Ausbildung und Qualifizierung wurden vernachlässigt, die demografische Herausforderung unterschätzt.

Die EVG fordert: 

  • Eine Abkehr von budgetierten Personalplanungen hin zu einer langfristigen Personalplanung.
  • Personalplanung, Ausbildung und Weiterqualifizierung dürfen sich nicht nur auf Teilbereiche beziehen: die Beschäftigten müssen das System Eisenbahn kennen und übergreifend einsetzbar sein.
  • Nachqualifizierung, insbesondere von kurzfristig eingestelltem Personal, um das Qualifizierungsniveau im System zu erhalten.
  • Attraktivere Arbeitsbedingungen: verlässliche Dienstpläne, Abbau von Überstunden; eine Bezahlung, die der hohen Verantwortung, der Qualifikation und der Belastung durch Schichtdienst angemessen ist.
  • Der Qualifizierungsbedarf für den digitalisierten Schienenverkehr muss systematisch analysiert und abgedeckt werden. 

2. Strukturprobleme

Auch dieses Thema hat verschiedene Dimensionen.

Deutsche Bahn AG: Mit der Bahnreform wurden schlankere und effektivere Unternehmensstrukturen versprochen. Das Gegenteil ist jedoch eingetreten. Heute arbeiten so wenig Beschäftigte wie noch nie direkt am Produkt. Dafür hat die Zahl der Berater enorm zugenommen; im Konzernvorstand gibt es keine operative Verantwortung mehr. In diesen Strukturen ist der Konzern nicht zukunftsfähig. Für die Weiterentwicklung der Konzernstruktur gelten für uns folgende Prämissen: 

  • Klare, schlanke Strukturen mit wieder mehr Verantwortung in den operativen Bereichen; Abbau von Hierarchieebenen.
  • Abbau der nicht mehr beherrschbaren und vor allem Kapazitäten bindenden Projekt- und Prozessvielfalt.
  • Ausrichtung der Geschäftsfeldplanung und -steuerung am operativ Notwendigen -  statt vornehmlich an übersteigerten EBIT-Planvorgaben des Konzerns.
  • Schaffung von organisatorischen Strukturen im Konzern, die das Silodenken der Geschäftsfelder reduzieren. 
  • Eine geschäftsfeldübergreifende, mit den Arbeiternehmervertretungen abgestimmten Personalplanung zur Stärkung des operativen Betriebs.

Immer wieder wir die Trennung von Netz und Betrieb gefordert. Sie ist aber gar keine Lösung, im Gegenteil: Ein Teil der Probleme des Eisenbahnsystems in Deutschland ist auf eine heute schon zu starke Trennung und zu viele Schnittstellen zurückzuführen. Wir haben nicht zu wenig, sondern zu viel Trennung. Verfechter der „Trennung von Netz und Betrieb“ übersehen auch, dass es neben der DB AG in Deutschland noch über 30 Eisenbahnunternehmen gibt, die ebenfalls integrierte Strukturen haben. Viele würden bei einer Trennung vor dem Aus stehen.

Zu kurz gesprungen wäre der Verkauf von DB Schenker Logistik und DB Arriva. Eine Veräußerung würde nur kurzfristige finanzielle Einmaleffekte bringen. Stattdessen sollte DB Schenker Logistik enger mit DB Cargo verzahnt werden.  

Ausschreibungen im SPNV. Im Zuge der Bahnreform wurden die Länder ab 1996 zuständig für den in ihren Ländern fahrenden SPNV. Grundsätzlich war das eine richtige Entscheidung, wie die Zuwächse bei Zugverbindungen und Reisenden zeigen. Aber: Solange die Aufgabenträger die Kosten als Hauptkriterium heranziehen, ist dies eine Einladung an die Unternehmen, neue unseriöse Geschäftsmodelle zu Lasten der Beschäftigten zu entwickeln – z.B. Unternehmen ohne eigenes Personal. Und: Wir haben bundesweit 27 Aufgabenträger, aber keine klare Linie – jeder Aufgabenträger verfolgt ein eigenes Konzept. Bis hin zur getrennten Ausschreibung von Vertrieb und Instandhaltung.

Die EVG fordert: 

  • Einen Wettbewerb um die besten Angebote im SPNV (und nicht die billigsten),
  • Den Stopp der Segmentierung des SPNV,
  • Langfristig eine stärkere Vereinheitlichung der Ausschreibungskonzepte
  • Eine einheitliche, am Schutz der Beschäftigten orientierte Anwendung der Regelungen zum Personalübergang;
  • Verpflichtende Vorgaben zur Ausbildung des eigenen Personals in den Ausschreibungen

Schienengüterverkehr. Besonders der SGV leidet unter verzerrten Wettbewerbs-bedingungen. Die Schiene wird mit Kostenfaktoren belastet (Trassenpreise, Stromsteuer, EEG-Umlage), von denen andere Verkehrsträger befreit sind. So wird sie daran gehindert, ihre Vorteile auszuspielen. Mit der (von der EVG geforderten und nunmehr durchgesetzten) Halbierung der Trassenpreise gibt es für die EVUs im Güterverkehr nun endlich die erste Entlastung, die aber zeitlich verstetigt werden muss. Und: Die größte Güterbahn in Deutschland, DB Cargo AG, hat es über Jahre hinweg nicht vermocht, eine Strategie zu entwickeln, um mehr Aufträge zu akquirieren und somit mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Erst in den letzten ein bis zwei Jahren und nachdem die EVG mit ihren Betriebsräten massiven Druck ausgeübt hat, ist allmählich ein Umsteuern zu erkennen.

Die EVG fordert: 

  • Die DB Cargo AG muss den eingeschlagenen Weg in Richtung Wachstum und mehr Beschäftigung verstetigen; sie muss bessere Pünktlichkeit und Qualität zu erreichen, und ein eigenes unternehmerisches Konzept für mehr Güterverkehr auf der Schiene entwickeln. 
  • Die nicht-bundeseigenen EVUs müssen ebenfalls innovative Konzepte entwickeln und umsetzen.
  • Die Politik muss alles tun, damit die Rahmenbedingungen für den SGV europaweit endlich verbessert werden.
  • Die Förderung des Gleisanschlussverkehrs muss verbessert werden.

3. Politische Rahmenbedingungen:

Koalitionsvertrag 2018. Er zeigt deutlich die Bereitschaft der Politik, das System Schiene voranzubringen. Aber es kommt auf die konkrete Umsetzung und ausreichende Finanzierung der dafür notwendigen Maßnahmen an. Sie müssen schnellstmöglich im Bundeshaushalt hinterlegt werden: Beispielsweise Schaffung eines deutschlandweiten 740-Meter-Netzes für Güterzüge, Elektrifizierung von 70 % des Netzes bis 2025, Umsetzung des „Tausend-Bahnhöfe“-Förderprogramms, Digitalisierung der Schiene durch Ausbau der europäischen Leit- und Sicherungstechnik ETCS.

Bundesverkehrswegeplan (BVWP). Ende 2018 sind 29 Schienenprojekte des „potentiellen Bedarfs“ in den „vordringlichen Bedarf“ hochgestuft worden. Darin enthalten sind auch die Ausbauvorhaben von sechs Eisenbahnknoten sowie das 740-Meter-Netz. Auch hier müssen die Finanzierung und zügige Umsetzung sichergestellt werden.

Intermodaler Wettbewerb. Die ungleichen Wettbewerbsbedingungen zu Lasten der Schiene stellen ein Entwicklungshemmnis dar. Damit die Eisenbahn gegenüber anderen Verkehrsträgern eine bessere Wettbewerbsposition erlangen kann, sind weitere Maßnahmen des Bundes notwendig.

Die EVG fordert: 

  • Ein Abrücken von der bisherigen Finanzierungslogik „Straße finanziert Straße“ bzw. „Schiene finanziert Schiene“ hin zu „Verkehr finanziert Verkehr“
  • Die Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Straßen sowie auch auf Fahrzeuge unter-halb von 7,5 Tonnen.
  • Das Absenken der Mehrwertsteuer im Schienenpersonenfernverkehr
  • Ein Ende der Mautbefreiung für Fernbusse
  • Die Abschaffung der Stromsteuer und die Streichung bzw. drastische Reduzierung der EEG-Umlage im Schienenverkehr

„Zukunftsbündnis Schiene“ (ZBS). Mit ihm wird die Förderung des Schienen-verkehrs endlich umfassend und systematisch angegangen. Das begrüßen wir ausdrücklich und engagieren uns dabei sehr dafür, dass die dringendsten Maßnahmen bereits im Bundeshaushalt 2020 berücksichtigt werden können.

Qualifizierung. Fast alle Eisenbahnbeschäftigte tragen eine hohe Verantwortung. Nur durch umfassende und fundierte Ausbildung für alle diese Tätigkeiten können Sicherheit, Zuverlässigkeit und Kundenfreundlichkeit des Schienenverkehrs erreicht werden

Die EVG fordert: 

  • Es muss bei der grundsätzlichen Ausbildungsform von drei Jahren in allen eisenbahnspezifischen Berufen bleiben.
  • Die sog. Funktionsausbildungen müssen mindestens 12 Monate dauern und in verbindliche Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen inkl. Rahmenlehrplänen gegossen werden.
  • Prüfungen sollten ausschließlich von neutralen, zertifizierten Stellen abgenommen werden.
  • Für eine effektive Kontrolle der Fahr- und Ruhezeiten bei den Triebfahrzeug-führer/innen brauchen wir die digitale Fahrerkarte. Die Kontrolle muss dem EBA übertragen werden.  

Fazit

Die Schiene muss politisch endlich Vorrang vor der Straße bekommen – mit den entsprechenden Haushaltsentscheidungen pro Schiene.

Ein guter Schienenverkehr ist unabdingbar, um die Mobilität in Deutschland zu erhalten. Das ist möglich! Wir fordern Politik, Unternehmen und Aufgabenträger auf: Stellt die Signale endlich richtig und schafft mehr Bahn für die Menschen!