Gastbeitrag - Demokratie ist Partizipation: Wenn nicht jetzt, wann dann!

Ein Gastbeitrag von Claudio Tarlazzi, Generalsekretär der italienischen Gewerkschaft Uiltrasporti. - Am 9. Juni sind wir aufgerufen, über die Erneuerung des Europäischen Parlaments abzustimmen. Partizipation ist ein Recht, aber ebenso sehr eine Pflicht eines jeden europäischen Bürgers.

Es ist ein notwendiges Element, ein Punkt der Einheit, der dazu beiträgt, die grundlegenden Prinzipien der Demokratie und der Freiheit unserer Gemeinschaft zu bestimmen und zu stärken.

Europa befindet sich heute mehr denn je an einem entscheidenden Wendepunkt in seiner Geschichte. Vor vier Jahren waren wir mit den enormen Schwierigkeiten konfrontiert, die sich aus der Pandemie ergaben und haben sie überwunden. Heute sind wir mit einem Szenario konfrontiert, das Kriege hervorgebracht hat: Der Krieg in der Ukraine, der seit mehr als zwei Jahren de facto innerhalb Europas stattfindet, aber auch der äußerst schwerwiegende Krieg im Nahen Osten, im Gazastreifen, der Tag für Tag den Tod und das Leiden von Hunderttausenden von Kindern, Frauen und Männern auf tragische Weise offenbart.

In einem solchen Szenario, das die Volkswirtschaften der europäischen Länder vor schwerwiegende Probleme stellt, gab es in der Geschichte immer und gibt es auch heute noch diejenigen, die Angst, Unsicherheit und das Bedürfnis nach Schutz als Mittel der politischen Lenkung mit verschiedenen Zielen nutzen. 

Es scheint, dass erhebliche nationalistische Bestrebungen zunehmen, die in einigen Ländern bereits zu einer Entfremdung oder Einschränkung der sozialen und persönlichen Rechte geführt haben. Diese Positionen verdichten sich und werden immer extremer und ihr Erfolg könnte dazu führen, dass sich diese Entschließungen auch in anderen Ländern immer mehr durchsetzen.  

Ihre Ziele, z.B. in den Bereichen Klimawandel, Asylpolitik, Außenpolitik, Rechtsstaatlichkeit, soziale Rechte, LGBTQ+-Rechte, Frauenrechte, stehen in deutlichem Widerspruch zu Inhalt und Ausrichtung eines sozialen, solidarischen und inklusiven Europas. Wir hoffen, dass sich die beschriebene Hypothese nicht bewahrheiten wird.

Das Parlament, das am 9. Juni aus den Wahlurnen hervorgehen wird, hat eine wichtige Aufgabe vor sich, die es zu erfüllen gilt: „Einen Wendepunkt, der dem Wachstum eines gemeinsamen Europas eine neue Perspektive geben wird.“ Die Europäische Union muss auf ihrem Reformweg voranschreiten, mit einer stärkeren politischen und sozialen Integration und durch wichtige Entscheidungen, wie die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen oder die Einschränkung des Vetorechts. Nur so wird sie in der Lage sein, ein grundlegendes Instrument des Zusammenhalts und des sozialen Wachstums zu bilden und auch die Rolle eines vereinten Europas in den internationalen Beziehungen zu stärken.

Wir stehen für die Arbeit, ihren grundlegenden Wert in der Gesellschaft, für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, für die Würde der Arbeit und für die kollektiven und individuellen sozialen Rechte der Menschen.

Die Welt des Personen- und Gütertransports, die in Europa durch die ETF repräsentiert wird, ist ein wichtiger Motor für das wirtschaftliche und soziale Wachstum der Länder und die Mobilität der Menschen und ihre qualitative Entwicklung ist sicherlich ein wichtiger Beschleuniger der Prozesse der Demokratie und der Freiheit.

Diese beiden Aussagen haben die grundlegende Notwendigkeit, dass Europa auch hier schnelle und konkrete Antworten geben kann, um Missbrauch, Ausbeutung, schlechte Arbeit, Sozial- und Vertragsdumping, Ungleichheit und Armut zu bekämpfen. 

Um dies auch in Europa zu erreichen, brauchen wir konkretes Wachstum und nicht Rückständigkeit. Dies kann sicherlich nicht durch die Zwänge des Stabilitätspaktes erreicht werden. Wir brauchen wichtige Interventionen, ähnlich wie bei der Pandemie-Notlage mit der –„next generation“ EU, wir brauchen Investitionen zum Aufbau bzw. zur Verbesserung von adäquaten und funktionalen Infrastrukturen, wir brauchen eine qualifizierte Ausbildung, wir brauchen eine Systemwirtschaft, um die Bedingungen der Menschen zu verbessern, wir brauchen eine integrative und weniger ungleiche Gesellschaft. 

Ein Paradigmenwechsel in der Gesellschaft ist überfällig. Grundrechte wie öffentliche Gesundheit, Bildung, sichere und menschenwürdige Arbeit, Mobilität von Menschen und Gütern müssen für alle zugänglich und durchsetzbar sein. Es ist zwingend notwendig, von einem wirtschaftlichen Europa zu einem echten sozialen Europa überzugehen. 

In allen demokratischen Systemen hat die Wahlenthaltung in den letzten Jahren zugenommen und dies ist ein Symptom für den extremen Ernst der Lage. Ohne uns auf die Suche nach den Gründen zu begeben, die sicherlich vielfältig sind, sollten wir jedoch innehalten, um auf eine Gefahr hinzuweisen und dann auch auf das, was wir als deren Folgen ansehen: Die Gefahr heißt politisches Desinteresse, Gleichgültigkeit und in manchen Fällen sogar Resignation.

Dem kann und darf man nicht nachgeben; deshalb wünschen wir uns, dass alle Frauen und Männer Europas zur Wahl gehen und ihr Recht wahrnehmen. Wie ein großer italienischer Songwriter sagt: „Die Geschichte sind wir, niemand sollte sich ausgeschlossen fühlen."