Christian Bormann in den Ruhestand verabschiedet – Danke, Christian!

Zeitenwende. Ein Begriff, der nicht oft seine Berechtigung hat. In Erfurt trifft er den Kern dessen, was sich am 30. November 2020 vollzogen hat. Christian Bormann hat sein aktives Berufsleben beendet. Nach fast fünfzig Jahren bei der Bahn - nur ein paar Monate fehlten zu diesem großen Jubiläum - und über dreißig Jahren in der betrieblichen Interessenvertretung.

Und parallel gewerkschaftlich aktiv in einem Maße, das nahezu unvergleichlich war, ist und bleiben wird. Es gibt kaum ein Gremium in der betrieblichen und unternehmerischen Mitbestimmung wie auch auf gewerkschaftlicher Ebene, in dem Christian nicht aktiv mitgemischt hat. Und zwar im Wortsinn! Nur gewähltes Mitglied zu sein und still an einer Versammlung, Beratung oder Sitzung teilzunehmen, war seine Sache nie. Und er hatte auch nicht nur etwas, sondern ganz viel zu sagen.

Die einen hofften und warteten sehnsüchtig auf Christians Wortbeiträge, die anderen fürchteten sie. Interessant für seine Mitstreiter in Vorbereitung der Verabschiedung war das in den Akten aufgefundene Schulzeugnis der 9. Klasse aus dem Jahre 1970, wo ihm bescheinigt wird, „in seinem Auftreten zu zaghaft“ zu sein. Christian hat, sollte dies damals den Tatsachen entsprochen haben, seit dem jedenfalls eine beeindruckend starke Entwicklung genommen.

Im Report des GBR der DB Netz AG vom 6. Dezember 2001 ist jedenfalls die Rede vom „mutigen Mann aus Thüringen“, der mit starken Worten die Firmenphilosophie angreift. „Beifallswogen brausen durch den Saal“, ist weiter zu lesen. Bereits die darauffolgende Ausgabe des GBR-Reports nimmt erneut auf den „Erfurter Betriebsrat“ Bezug, der „für die literarisch-satirische Verpackung seiner Diskussionsbeiträge bekannt“ sei.

Und so haben wir ihn bis zuletzt geschätzt und auch genossen. Entschlossen, fordernd, streitbar. Aber auch gerecht, kollegial und warmherzig. Goethe und Schiller und weitere Klassiker immer an seiner Seite. Ein kreativer und kluger wie auch feinsinniger Stratege, sich selbst wie auch andere nicht schonend, wenn es um die gute Sache geht. Unzählbar die spätabendlichen Stunden in seinem Büro, die Kilometer unter rollenden Rädern, die Nächte in Hotelbetten irgendwo. Unduldsam gegenüber Schlendrian und Unzuverlässig- und auch Bequemlichkeit waren genauso sein Markenzeichen wie humorvoller Schalk und sanftmütige Lebenszugewandtheit, wenn er etwa zum Vorlesetag oder als Weihnachtsmann Kinderherzen und -gesichter zum Strahlen brachte oder in Krisengesprächen höchst verschlungenes Seelen-Dickicht auf gemeinsam gangbare Wege hin lichten konnte.  

Gefühlt alles an ihm war einzigartig, Vieles ohne ihn undenkbar. Der zur Weihnachtszeit  leuchtende Adventsstern über dem Erfurter Bahnhofsvorplatz genauso wie das jährliche Sommerfest des Betriebes, bei dem seit vielen Jahren die Leitungsebene und auch so manches Vorstandsmitglied der DB Netz AG, in üppige Kostüme gesteckt, nach dem Drehbuch und der Regie von Christian bildhaft passende historische Vorlagen, auf die unternehmerische Gegenwart bezogen, hintergründig –  und die Belegschaft auf höchsten Niveau unterhaltend -  in Szene setzten. 

Christian lebte das, was er tat. Als Eisenbahner, als mit einer einstelligen Mitgliedsausweisnummer seines Ortsvereines aktiver Sozialdemokrat, als Betriebsrat und Gewerkschafter. Fünf unserer Vorsitzenden seit GdED-Zeiten war Christian geschätzter Ratgeber und „Basisstimmen-Einflüsterer“, der sechste wurde just an jenem Tag ermittelt, als er verabschiedet wurde. Die Chefetage stand dazu coronabedingt im Abstand brav Schlange vor dem Raum, in dem er sich mit dem dazu gekommenen  Ministerpräsidenten Bodo Ramelow eine halbe Stunde lang in freundschaftlicher Verbundenheit alte gemeinsame Geschichten erzählte, etwa die Aktion mit dem Kleinflugzeug und den daraus abgeworfenen Flugblättern zur Unterstützung der streikenden Kalikumpel von Bischofferode.

Was bleibt, ist neben den vielen tollen Erinnerungen ein überreiches Erbe an Erfahrungen, Kenntnissen und Prägungen, weitergegeben bzw. vollzogen an uns, die ihm nun nachzufolgen aufgefordert und auch motiviert sind. Aus der Welt ist er ja nicht, unser Christian. Dennoch: es ist eine Zeitenwende. In des Wortes angemessener Bedeutung. Ein anderes kommt nüchterner daher. Deutlich öfter gebraucht, nicht immer ernst gemeint. Hier an dieser Stelle aber in echter, tiefer und herzlichst-intensivster Dimension ausgesprochen: DANKE, Christian! Und alles Gute für den weiteren Weg!