Der bittere Weg der Gewerkschaften zum 1. und 2. Mai 1933

Angesichts der Zeitgeschehnisse tritt die Hilflosigkeit der Arbeiterbewegung im Jahre 1932 unübersehbar hervor. Schon die Verlautbarungen bei der anstehenden Wahl des Reichspräsidenten belegen es.

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Diese Arbeiter ließ sich nicht von den Nazis gleichschalten

Am 6. März veröffentlichte der Deutsche Eisenbahner den Aufruf des Vorstandes des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADBG) an die Arbeiter:

„Bei der Wahl des Reichspräsidenten geht es um eure und eurer Kinder Zukunft, um Sein oder nicht Sein, des Demokratischen Deutschland, um die Deutsche Republik und ihre Verfassung.

Eure geschworenen Feinde sind die in der Nationalen Opposition zu einem Hassbündnis vereinigten Parteien. So bitter sie sich untereinander befehden, sie haben ein gemeinsames Ziel, ihre unbeschränkte Vorherrschaft auf eure Knechtschaft zu gründen.

Lasst euch durch ihr Kampfgeschrei gegen Hindenburg und Brüning nicht täuschen. Ihr Ansturm gegen das heutige System richtet sich gegen die Deutsche Arbeiterbewegung, ist ein Kreuzzug wider den Sozialismus, gilt der Vernichtung der Gewerkschaften.“

Doch der Prozess ließ sich nicht aufhalten. Zunächst ließ Hindenburg den Mann fallen, dem er seine erst im zweiten Wahlgang im April erfolgte Wiederwahl als Staatsoberhaupt ganz wesentlich mit verdankte: Heinrich Brüning, den führenden Kopf des Zentrums, ehemals Geschäftsführer des Christlich-Nationalen-Gewerkschaftsbundes.

Am 30. Mai 1932 hat Reichskanzler Brüning den Reichspräsidenten aufgesucht, um die Zustimmung zu einer neuen Notverordnung zu erhalten. Hindenburg hatte ihn zunächst reden lassen, dann mit einigen barschen Worten zu einem bereitgelegten Aktenbogen gegriffen und vorgelesen:

  1. Die Regierung erhält, weil sie zu unpopulär ist, vor mir nicht mehr die Erlaubnis neue Notverordnungen zu erlassen.
  2. Die Regierung erhält von mir nicht mehr das Recht, Personalveränderungen vorzunehmen
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Brüning antwortete: „Wenn ich die mir soeben vorgelesen Äußerungen richtig verstehe, so wünschen Sie, Herr Reichspräsident, die gesamte Demission des Kabinetts.“ Dies bestätigte Hindenburg unumwunden.

Der 2. Juni 1932 war der Tag der Geschäftsübergabe an die neue Reichsregierung. Jetzt saßen Männer im Sattel, von denen sich fünf sehr bald auch in einem Kabinett Hitler etablierten. Am 31. Juli 1932 musste der „Deutsche Eisenbahner“, unter der simplifizierenden Überschrift „Das Werk der Nazis“, nachträglich auf eine neue Hiobsbotschaft eingehen, den Staatsstreich Papens vom 20. Juli 1932:

„Die Regierung Papen hat im Lande Preußen durch Anordnungen und unter Anwendung von Gewaltmitteln die Regierung ihres Amtes enthoben und andere Männer mit der Staatsleitung in Preußen beauftragt. Die Regierung Braun-Severing musste der Gewalt weichen. Der Polizeipräsident von Berlin sowie sein Stellvertreter wurden ihres Amtes enthoben und verhaftet. Für Berlin und Provinz Brandenburg ist der militärische Belagerungszustand erklärt.“

Gewalt erschlägt Demokratie

Am 30. Januar 1933 wurde Hitler von Hindenburg zum Reichskanzler berufen. Franz von Papen wurde Vizekanzler. Am 27. Februar brannte in Berlin der Reichstag. Am 28. Februar 1933 verordnete der Reichspräsident einschneidende Maßnahmen, angeblich zum Schutze von Volk und Staat. Die Reichstagswahlen am 5. März 1933 brachten der NSDAP und der verbündeten Deutsch Nationalen Volkspartei nur eine knappe Mehrheit; aber die letzten Restbestände des Parlamentarismus ließen sich ebenso leicht beseitigen wie übrig gebliebene gegnerische Bastionen.

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Das Verbot der Eisernen Front und des Reichsbanners wurde nach der Wahl kampflos hingenommen. Wenige Tage später, am 11. März 1933, wurde das bis dahin konsequent antinationalsozialistische Organ des Einheitsverbandes der Deutschen Eisenbahner bis einschließlich 4. April 1933 verboten. Ähnliche Eingriffe waren jetzt längst selbstverständlich. Breites Umfallen nicht minder.

Am Mittwoch, den 29. März 1933 traten Vorstand und Beirat des Einheitsverbandes der Eisenbahner Deutschlands in Berlin zusammen, um gemeinsam die gegebene Situation zu erörtern und daraus Folgerungen zu ziehen. Das Ergebnis der Konferenz bedeutete den erzwungenen Rücktritt des gewählten Vorsitzenden Scheffel sowie der Vorstandsmitglieder Jochade und Breunig. Und dann kam es Schlag auf Schlag:

Am 17. März 1933 erklärten sich die Christlichen Gewerkschaften für unpolitisch. Am 21. März 1933 erklärt der Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes an Hitler: „Die Gewerkschaften beanspruchen nicht, auf die Politik des Staates unmittelbar einzuwirken“. Am 29. März 1933 schreibt der ADGB Vorsitzende Leipart an Hitler und offeriert ihm die völlige Trennung von der SPD, Kompromissbereitschaft der freien Gewerkschaften und Zusammenarbeit mit den Unternehmern zur Lösung sozialer Fragen. Am 3. April 1933 erklärt der Bundesausschuss des Allgemeinen Deutschen Beamtenbundes (ADB) die Auflösung des ADB. Am 9. April 1933 beschließt der Vorstand des Internationalen Gewerkschaftsbundes, seinen Sitz von Berlin nach Paris zu verlegen. Am 9. April 1933 wird vom Bundesvorsitzenden des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes der nationalsozialistische Staat verschlüsselt bejaht und die volle Mitarbeit angeboten. Am 10. April 1933 erfolgt die Verkündung des Gesetzes über die Einführung eines Feiertages der Nationalen Arbeit. Dieses Gesetz macht den 1. Mai in ganz Deutschland zu einem arbeitsfreien Tag, der offiziell zu feiern ist. Der 1. Mai ist von nun an für die Zwecke des 3. Reiches umfunktioniert. 11. April 1933: Der Hirsch-Dunckersche Gewerkschaftsbund der Angestellten überreicht Hitler einen Plan zur Vereinheitlichung der Deutschen Gewerkschaftsbewegung. 29. April 1933: Der Hirsch-Dunckersche Gewerkschaftsbund der Angestellten ist nun gleichgeschaltet.

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Noch am Abend des 1. Mai 1933 notierte Goebbels in sein Tagebuch: „Morgen werden wir nun die Gewerkschaftshäuser besetzen, Widerstand ist nirgends zu erwarten.“ Die am 2. Mai 1933 schlagartig besetzten Häuser, Zahlstellen, Redaktionsbüros und der gleichen mehr gehörten zum Bereich der freien Gewerkschaften. Das Beispiel genügte, der unverzüglichen Kapitulation der Verbände der übrigen Richtungen konnte man nun sicher sein. Zuletzt endete praktisch alles in nationalsozialistisch ausgerichteten Organisationen: Die Deutsche Arbeitsfront oder der Reichsbund der Deutschen Beamten, das Kapitel Gewerkschaften war nun vorerst ausgelöscht. Die 1919 gegründete Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) wollte dem Chaos entgehen und änderte ihren Namen in Verein Deutscher Lokführer (VDL). Trotzdem ereilte sie das gleiche Schicksal.

Dr. Peter Scherer, IGM beschreibt den ungeheuerlichen Vorgang so:

„Man wird keinen vergleichbaren Vorgang in der Geschichte finden: „Die Verbände der Arbeiterbewegung finden sich genötigt die in Millionen zählenden Mitglieder aufzurufen, unter der Fahne ihrer grimmigsten Gegner durch die Straße zu marschieren. In Hannover rief der ADGB zur Teilnahme an den faschistischen Kundgebungen auf ungeachtet der Tatsache, dass hier das Gewerkschaftshaus schon seit dem 1. April von der SS besetzt war, die Kassen geplündert, die Fahnen öffentlich verbrannt. Die Zeitungen mit endlosen Berichten über den neu geschaffenen Feiertag der nationalen Arbeit liegen noch frisch auf den Schreibtischen der Gewerkschaftsbeamten, als vormittags, Punkt 10 Uhr, die Schlägerbanden der Nazis in den Büros erscheinen und das seit Monaten betriebene Werk der Zerstörung vollenden. Der Ablauf ist auf bedrückende Weise überall derselbe. Führende Kollegen werden verhaftet, die übrigen werden gezwungen zu bleiben und ihre Arbeit fortzusetzen, wobei ihnen gleichzeitig alle Möglichkeiten genommen werden, das wirklich zu tun. In blindwütigen Mordtaten, willkürlichen Misshandlungen und Zerstörungen erreicht der Terror, dem die Gewerkschaften seit Juni 1932, seit dem Sturz Brüning ausgesetzt sind, seinen Höhepunkt. Schreiben um Schreiben hatte der Vorstand des ADGB an Hindenburg gerichtet. Alles Bemühen, den Reichspräsidenten an seine verfassungsmäßigen Aufgaben zu erinnern, an seine Verantwortung gegenüber dem ganzen Volk, schlagen fehl. Selbst der Appell an die militärische Kameradschaft, der Hinweis auf die Tatsache, dass im ADGB Millionen Frontsoldaten organisiert sind, bleibt wirkungslos. Manche Gewerkschaftshäuser werden am 2. Mai 1933 zum zweiten Mal besetzt. Sie waren erst im April wieder freigegeben worden und fallen nun erneut in die Hände der Nazis. Widerstand rührt sich nirgends. Ein gespenstiger Alltag beginnt, Kassen werden übergeben, Vermögen beschlagnahmt, Immobilien zweckentfremdet, eine dubiose nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation (NSBO) spielt kurze Zeit Gewerkschaft. Aber noch im Mai wird parallel dazu die Deutsche Arbeitsfront (DAF) gegründet, die sich bald zu einer riesigen Zwangsorganisation auswächst, weit entfernt von jener Einheitsgewerkschaft, die der ADGB den Nazis im April angeboten hatte ...!"