Fairness im Verkehr - Fachtagung in Hannover

Am 20. Juni hatten EVG, ver.di und DGB zusammen mit Scientists und Fridays for Future und ande­ren zu einer Fachtagung nach Hannover eingeladen. Ist der Verkehrsraum gerecht verteilt und für alle gleichermaßen zugäng­lich? Wie sind Mobilitätsbedürfnisse, Klimaschutz und gute Jobs im Verkehr zu vereinbaren? Diese und andere Fra­gen wurden in hochkarätigen Vorträgen und einer anschließenden Podiumsdiskussion verhandelt.

Dirk Schlömer von mobifair beschrieb die drohenden sozialen Brüche beim Betreiberwechsel. Foto: Stefan Deeters

Der Wettbewerb im Personennahverkehr war das Thema von Dirk Schlömer (mobifair). Für die Beschäftigten bedeutet ein Betreiberwechsel nach Ausschreibung, dass sie jedes Mal um ihre Arbeit kämpfen müssen, gerade in Niedersachsen, wo der nah am kommenden Mindestlohn orientierte Tarif einer Nischen-Gewerkschaft für repräsentativ erklärt wurde.

Georg Aipperspach (DB Cargo) behandelte das Thema Güterverkehr, wo der Wettbewerb stark auf Kosten des Klimas geht, solange die externen Kosten vom Lkw-Verkehr nicht bezahlt werden müssen.  

Der Nachmittag war dem Verkehrsraum in den Städten und der Mobilität auf dem Land gewidmet. Wolfgang Haller (SHP Ingenieure) und Ulrich Kinder (bis vor Kurzem Stadtbaurat in Celle) zeigten zahlreiche gelungene Beispiele für gut erreichbare Stadtquartiere, in denen das Auto nicht ausge­schlossen wird, aber Fußgänger, Fahrrad und ÖPNV Vorrang haben.

Stephan Börger (Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen) zeigte die Bandbreite der ÖPNV-Aufgabenträger und die derzeit beschränkten Möglichkeiten des Landes, Mobilitätslücken zu schließen.

Friederike Jebens (DB) stellte engagierte Neu- und Ausbauvorhaben vor, mit denen SPNV, SPFV und Schienengüterverkehr deutschlandweit im integrierten Taktfahrplan zusammengeführt werden sollen.

Im letzten Vortrag benannte Kilian Frey (Umweltbundesamt) die Maßnahmen, mit denen die Verkehrswende wirksam, aber sozial gerecht umgesetzt werden kann, vor allem z.B. eine CO2-abhängige Kfz-Steuer und ein hoher CO2-Preis mit Rückvergütung, und: ein guter ÖPNV. 

Die Vor­träge machten die vielen Facet­ten von Ungerechtigkeit sichtbar, die der bisherige Vorrang des motorisierten Individualverkehrs verursacht. Da kam Spannung auf, wie die im Anschluss ein­geladenen Politiker nach der Wahl im Oktober für mehr Gerechtigkeit im Verkehr sorgen wollen. 

Zur Diskussion kamen (v.l.n.r.) Olaf Lies (SPD), Ulf Thiele (CDU), Christian Meyer (Grüne), Jörg Bode (FDP). Foto: Martin Roger

Die vier Spitzenpolitiker, darunter zwei ehemalige Verkehrsminister, zeigten allerdings ein ziemlich ernüchterndes Diskussionsniveau und ließen kaum konkreten Gestaltungswillen für eine bessere Mobilität erkennen. Teilweise machten sie eher den Eindruck, als hätten sie Angst vor der Zukunft.

Ulf Thiele befürchtet, dass seine 80-jährige Nachbarin im Landkreis Leer vereinsamt, wenn ihr das Auto weggenommen wird, und macht sich mehr Sorgen um den Gebrauchtwagenmarkt als um den ÖPNV. Jörg Bode glaubt, dass Schienenneubaustrecken im Gegensatz zu neuen Autobahnen nicht durchsetzbar seien, weil sich bei der Autobahn die Menschen vor Ort noch vorstellen könnten, dass sie sie selbst einmal benutzen. Das spiegelt wohl eher die eigene Befindlichkeit als die Realität wider.

Die Tagung bot einen gelungenen Überblick über die anstehenden Aufgaben in der Verkehrspolitik und über die vielen guten Ansätze dafür. Sie zeigte aber auch, dass Gewerkschaften und Klimaschutzbewegung noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten haben. Am meisten erreichen wir dabei sicher, wenn wir gemeinsam vorgehen.

Und bei der Landtagswahl in Niedersachsen müssen wir genau hinschauen, wer welche Mobilitätsinteressen vertritt.