Vor der Bundestagswahl: Kontroverser Austausch zur europäischen Verkehrspolitik

Wettbewerb und Marktanteile. Integrierter oder gespaltener Konzern.  Beschäftigungssicherung, Klimaschutz und Finanzen: Diese und andere Themen wurden auf Initiative der EVG diskutiert. Eingeladen dazu waren Vertreter*innen europäischer Schwestergewerkschaften der EVG und aus der Verkehrspolitik.  

Ein „Trauerspiel der Tarifautonomie“....

... so stieg der Vorsitzende der EVG, Klaus-Dieter Hommel in seinem Eröffnungsstatement ein. Bezug nahm er dabei auf den Tarifabschluss der GDL mit der DB AG, welcher nur mit Einmischung der Politik erreicht werden konnte.  Zugleich zeigt sich Hommel zuversichtlich, dass endlich wieder Ruhe im Bereich Schiene einziehe.

„Es herrscht eine eklatante sozialpolitische Schieflage im europaweiten Bahnsektor“. Mit dieser Feststellung nahm die stellv. Generalsekretärin der Europäischen Transportarbeiter Föderation (ETF), Sabine Trier das Thema der Konferenz auf. Bislang würden verkehrspolitische Maßnahmen auf EU-Ebene kaum für verbesserte Arbeitsbedingungen sorgen. Deswegen blieben die Bahn-Gewerkschaften ein starkes Sprachrohr der Beschäftigten. „Da muss insgesamt mehr aus Brüssel kommen“, mahnte Trier an. So setze die EU-Kommission zu sehr auf Liberalisierung der Schiene, ohne offenbar klare Vorstellungen für ihre Umsetzung zu haben. Trier stellte in Frage, dass dadurch der Marktanteil der Schiene gegenüber der Straße im notwendigen Maße wachsen würde. 

Wie konsequente Bahnpolitik von Politik und Gewerkschaften funktionieren kann,

zeigte Giorgio Tuti, der Vorsitzende der Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV (Schweiz). „Wir leben Miteinander statt Gegeneinander“. In seinem Land hat sich über die vergangenen Jahre ein Erfolgsmodell etabliert. „Eine Reise. Ein Ticket“ – so beispielsweise das Motto im Personenfernverkehr. Aber auch im Schienengüterverkehr verzeichne sein Land steigende Akzeptanz. Dies führt Tuti darauf zurück, dass man sich weitestgehend vom Wettbewerb verabschiedet hat. „Wer ein sicheres System will, muss die integrierte Bahn fördern“, stellte Tuti klar. Kritisch sieht er hingegen das Gebaren in Brüssel. „Alle vier bisher entwickelten Eisenbahnpakete waren vom Wettbewerb getrieben“. Der Weg zurück zur Integrierten (Schweizer) Bahn war „ein harter und steiniger Weg“.

„Ja, wir sind überzeugt davon, dass die Schiene funktioniert“, betonte EVG-Vize Martin Burkert. Die Verkehrswende könne aber nicht erreicht werden, wenn sich die Politik zu sehr auf die Straße fokussiere. „Hier müssen die Weichen nach der Bundestagswahl neu gestellt werden“. Deswegen: Ohne Verkehrswende keine Klimawende. „Die Schiene ist und bleibt Verkehrsträger Nummer Eins“, so Burkert.

Auch die Hochwasserkatastrophe ein Thema

Der EVG-Vize erinnerte an die vielen Opfer und Geschädigten der Hochwasserkatastrophe in NRW, RLP und Teilen von Bayern. Er lobte die finanziellen Wiederaufbauhilfen des Bundes in Höhe von 30 Milliarden Euro und mahnte die schnelle Auszahlung der Gelder an. Die Menschen der Region bräuchten auch zügig wieder eine funktionierende Schieneninfrastruktur.

Insgesamt müssten die Investitionen des Bundes verstärkt werden. Hier entlehnte sich Burkert des Begriffs der Finanz-„Bazooka“, geprägt von Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Während die Schweiz 440 Euro im Jahr pro Kopf in die Schiene investiere, stecke Deutschland mit 88 Euro pro Kopf im europäischen Investitionskeller. Burkert forderte wiederholt mindestens die Verdopplung der Mittel für den Ausbau des Schienensystems. Priorität hätten dabei u.a. die sozialverträgliche Digitalisierung, die digitale automatische Mittelpufferkupplung, die Elektrifizierung von Strecken sowie der Umstieg und der Ausbau auf den Einzelwagenverkehr für einen effizienten SGV. Unter dem technischen Fortschritt dürfen die Beschäftigten nicht leiden. „Gerade im Nahverkehr braucht es dafür mehr Regelungen“ sagte Burkert.

Im Verlauf der Konferenz stellten die Vertreter verschiedener Parteien (Grüne, LINKE, FDP, CDU, SPD) immer wieder ihre Sicht der Dinge und Erfahrungen zum System Schiene in Deutschland dar – so beispielsweise vom Tarifeinheitsgesetz, von Nachtzügen, einheitlichen Ticketpreisen oder auch einfacheren Buchungssystemen für Zugreisen. In einigen Punkten gab es Übereinstimmungen. So über die Notwendigkeit von mehr Investitionen. Kontrovers hingegen war die politische Debatte zum Integrierten Konzern. Bündnis90/Die Grünen argumentierten dagegen und halten an einer Aufspaltung des DB Konzerns fest.   

Eine durchweg positive Bilanz...

... zog Roman Hebenstreit, Vorsitzender der Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft vida (Österreich) mit den Erfahrungen zum Integrierten System Bahn. So sei man sehr erleichtert, wieder den Weg zurück dorthin gefunden zu haben. Das Netz profitiere davon ungemein: Alle Gewinne werden zurück ins Netz investiert, Fördersysteme regelmäßig evaluiert und angepasst. „Dieses Fundament sichert ein funktionierendes System Schiene!“ Die Trennung von Netz und Betrieb habe man in Österreich erfolgreich hinter sich gelassen. „Das war eine absolute Katastrophe aus Sicht der Steuerzahler*innen“, so Hebenstreit.

Weitestgehend einig waren sich die Teilnehmer*innen darüber, dass das Tarifeinheitsgesetz in seiner aktuellen Form überprüft werden sollte. Der Tarifkonflikt bei der DB AG habe gezeigt, dass sich das Gesetz nicht eigne, Konflikte zu befrieden.

Die Konferenz hielt das Tempo über die gesamte Zeit hoch. Anlass war ihre Themenvielfalt: Wie und dass ein komplett kostenloser ÖPNV funktionieren kann, berichtete Georges Merenz, Vorsitzender Syndikat Eisenbahnen OGBL/FNCTTFEL-Landesverband (Luxemburg). Was Luxemburg erfolgreich praktiziere, würde unseren Nahverkehr bei einem Fahrgast-Boom in kürzester Zweit zum Kollabieren bringen: Deutschland sei dafür noch nicht gewappnet, so Martin Burkert. Dafür brauche es erst einen starken Nahverkehr. Burkert setzt auf Modellprojekte einiger deutscher Städte, um hierfür Erfahrungen zu sammeln.

"Geld allein nützt nichts!"

„Wir sind noch weit von einer priorisierten Schiene in Deutschland entfernt“, stellte der EVG-Vorsitzende Hommel nach der Podiumsdiskussion fest. Die EVG unterstütze allerdings alle Wünsche und Pläne, die die Priorität anheben. „Geld allein nützt nichts, wenn nicht klar ist, wohin man mit der Mobilität will“. Die politische Steuerung habe hier noch nie funktioniert. Hommel lobte das Eisenbahnmodell der Schweiz. „Dort bekennt man sich zur Schiene, ganz im Gegenteil zu Deutschland“.

„Wir haben heute festgestellt, welche Fehler wir vermeiden können“ schloss Martin Burkert die Konferenz. Dennoch stehe eines unverrückbar über uns allen: „Klimawende geht nur mit der Schiene“. Dazu hätten wir uns als EVG schon immer klar positioniert, bekräftigte Burkert. „Und wir werden unsere Ziele weiterführen“.