„Wir müssen hingucken“

Frauenarbeit in der EVG – das ist auch die ganz praktische Auseinandersetzung mit politischen und historischen Themen. 18 Kolleginnen haben sich Ende November mit einem sehr besonderen Thema auseinandergesetzt: dem einzigen Frauen-KZ Ravensbrück. Wie sie diese Woche erlebt haben und was sie für sich mitnehmen, haben uns zwei Kolleginnen erzählt: Christina Henning und Martina Meyer.

Ihr habt Euch eine Woche lang mit dem KZ Ravensbrück auseinandergesetzt. Ganz schön harter Stoff. Was war Eure Motivation und wie habt Ihr diese Seminarwoche erlebt? 

Christina: Das Thema ist eben leider aktuell wie eh und je. Heute wollen ja wieder viele nicht wahrhaben, dass das passiert ist. Und dagegen hilft nur Wissen. Ich habe schon mal, vor ein paar Jahren, ein Seminar in Auschwitz besucht, und ich kann solchen Behauptungen entgegnen: Ich war da, ich habe es gesehen, und auch du kannst hinfahren und dich informieren.

Martina: Für mich war wichtig, dass wir einen ziemlich offenen Meinungsaustausch hatten. Es gab von Anfang an keine Hemmschwelle, über bestimmte Themen zu sprechen. Die Atmosphäre war sehr respektvoll, sehr offen, sehr diskussions-freudig, auch sehr mitfühlend und aufregend. Wir haben den Zeitplan immer überzogen, einfach weil wir so lebendig diskutiert haben. Das Thema hat uns eben alle mitgenommen: Wie konnten Frauen bei einem so frauenverachtenden System mitmachen?

Wie habt ihr euch dem Thema genähert?

Martina: Sehr individuell. Angela Meyer, die von Seiten der Gedenkstätte das Seminar geleitet hat, hat uns Kameras in die Hand gegeben und gesagt: Jetzt geht ihr damit in die Gedenkstätte und macht Fotos von dem, was euch interessiert. Es ging darum, wie nehme ich den Ort wahr, wie wirkt der Ort auf mich? Und das sollten wir in diese Fotos reinpacken.

Christina: Eine Kollegin hat eine Trauerweide fotografiert, ich selbst ein Stück Mauer, oder jemand einen Gedenkstein, das war eine sehr persönliche Art, sich diesem schwierigen Thema zu nähern. Und über diese Fotos haben wir uns anschließend ausgetauscht und dann auch Informationen bekommen.

Martina: Es war also nicht frontal, wir haben uns nicht über Fakten genähert, sondern über Emotion. 

Ravensbrück war ein Frauenlager – welche Erkenntnisse über die Situation von Frauen im Nationalsozialismus hat euch das Seminar gebracht?

Christina: Die Frauen sind wirklich aus völlig unterschiedlichen Gründen dorthin gekommen – sie waren rassisch verfolgt, politisch verfolgt, als sogenannte Asoziale abgestempelt, oder als Zeuginnen Jehovas… Und sie sind zwar einerseits alle aufgrund ihres Geschlechts nach Ravensbrück gekommen – aber dann hat man ihnen dort das Frausein abgesprochen. Indem sie körperlich schwere Arbeit leisten mussten, teilweise wurde Ihnen auch der Kopf kahl rasiert. Wenn man weiß, was es für eine Frau bedeutet, wenn sie zu einem glatzköpfigen Wesen gemacht wird… da wurden sie im Grunde zweimal bestraft.

Martina: Frauen galten im Nationalsozialismus nicht als Individuen, als Persönlichkeit; sie waren Hausfrauen oder Mütter, erst später wurden sie für schwere Arbeiten eingesetzt und auch ausgebeutet. Sie konnten ihr Leben gar nicht selbst gestalten. Es sei denn, sie wurden Aufseherinnen: Da hat man sie geködert mit etwas, was sie damals nicht hatten, Ansehen, Geld, Aufstieg.  

Stichwort Aufseherinnen, eine besondere Gruppe Frauen in Ravensbrück. Könnt ihr euch ihre Rolle, ihre Beweggründe erklären?

Christina: Wir haben eine Stellenanzeige gesehen, mit der Aufseherinnen für Ravensbrück gesucht wurden. Ihnen wurde guter Lohn versprochen, eine Wohnung mit Zentralheizung.

Martina: Und sie haben eine Uniform bekommen. Die haben ja auch Postkarten von sich gemacht und an ihre Eltern geschickt, also das war ja auch eine Statuserhöhung.

Christina: Aufgrund dessen kann schon verstehen, warum sie dorthin gegangen sind. Aber warum sie dann dort geblieben sind, das kann man nicht verstehen. Dann muss es so sein, dass sie wirklich politisch überzeugt - oder einfach machthungrig waren. 

Martina: Ich denke, dass es noch einen Grund gibt: Dass sie einfach keine Bildung hatten. Frauen waren wegen ihrer eingeschränkten Lebensweise auch beeinflussbar. Wenn man immer nur hört, Jüdinnen sind Untermenschen, die sind nichts wert, dann schaltet man irgendwann sein Mitgefühl aus. Sie hatten ja damals auch keine anderen Informationsquellen.  
Was nehmt ihr für euch persönlich mit?

Christina: Wir haben erfahren, dass es 3500 Aufseherinnen in Ravensbrück gab und 7 wurden nur angeklagt. Da ist mir bewusst geworden, wie wenig Aufarbeitung es gab, übrigens auch in der DDR. Es geht mir dabei nicht darum, wer Schuld hat, sondern wer mitgemacht hat und warum. Wir müssen hingucken: Wie kommt man dahin und wie kann man das künftig verhindern.

Martina: Was ich mitnehme, ist der Mut, meine Meinung zu äußern. Oftmals trauen wir uns das ja nicht, weil wir Angst haben, alleine dazustehen. Aber in den Diskussionen habe ich gemerkt: Nachdem ich meine Meinung geäußert habe, habe ich viel an Zustimmung bekommen – oder eine Gegenmeinung, aber das ist ja auch lehrreich. Und zum Thema Nationalsozialismus: Da höre ich immer wieder: Lass gut sein, das ist doch so lange her. Nee, das ist entstanden, weil die Leute unwissend waren. Und heute ist die Grundtendenz wieder da und die Leute sind wieder unwissend oder sagen, es wird schon nicht so schlimm kommen. Aber ob so schlimm oder anders schlimm, ist egal. Mit Schweigen machen wir uns mitschuldig. Die Vergangenheit kann ich nicht ändern, aber ich kann die Zukunft beeinflussen. Und solche Seminare helfen dabei.