Soziale Pflegeversicherung: Bundesverfassungsgericht nimmt Politik in die Pflicht

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Beitragssätze für die soziale Pflegeversicherung geändert werden müssen.

Das Gericht sieht in der derzeitigen Beitragsordnung eine Benachteiligung für Eltern von zwei und mehr Kindern. Bis zum Sommer nächsten Jahres hat die Ampelkoalition Zeit, das Beitragsrecht neu zu gestalten. Das könnte dafür sorgen, dass die gesamte Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung auf den Prüfstand kommt. 

„Grundsätzlich begrüßen wir, dass kinderreiche Familien und Alleinerziehende entlastet werden sollen“, sagt der Stellvertretende EVG-Vorsitzende Martin Burkert. „Nun ist die Politik in der Pflicht, das Urteil umzusetzen und die prekäre finanzielle Situation der Pflegeversicherung nachhaltig zu stabilisieren und zu sichern.“

Das ist auch aus Sicht des Sozialpolitischen Ausschusses (SPA) der EVG dringend notwendig. Claudia Huppertz, Sprecherin der SPA-Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege, weist darauf hin, dass die soziale Pflegeversicherung das Jahr 2021 mit einem Fehlbetrag von rund 1,35 Milliarden Euro abgeschlossen hat. Ein noch höheres Defizit ist für 2022 zu erwarten – Schätzungen zufolge ca. 2,5 Milliarden; darin sind die durch die Pandemie bedingten Mehrbelastungen aus den Jahren 2020 bis 2022 noch nicht berücksichtigt. „Der Bundeszuschuss muss zeitnah erhöht werden, um die Beitragszahler:innen der sozialen Pflegeversicherung nicht zusätzlich durch Beitragserhöhungen zu belasten“, so Claudia Huppertz.  

Die Vorsitzende der EVG-Bundesfrauenleitung, Nadja Houy, unterstreicht, dass es oftmals Frauen sind, die diese Aufgabe neben Beruf und weiterer unbezahlter Sorgearbeit stemmen. „Diese Arbeit muss angemessen gewürdigt werden, auch bei der Altersvorsorge. Und alle, die Angehörige, Kinder und/oder Nahestehende pflegen, brauchen entsprechende Entlastungsangebote und Freistellungen.“

„Pflege ist sowohl jetzt als auch in der Zukunft die große Herausforderung“, so Martin Burkert. „Die Menschen in Deutschland müssen sich darauf verlassen können, dass sie gut gepflegt werden. Und dass sie diese Pflege bezahlen können. Aktuell sind mehr als 30 Prozent der in Einrichtungen untergebrachten Pflegebedürftigen auf Sozialhilfe angewiesen, die Tendenz ist steigend.“  

Die EVG setzt sich daher für die Pflegebürgervollversicherung ein. Darüber hinaus fordert sie einen Paradigmenwechsel in der Pflegeversicherung. Aktuell gilt: Die Leistungen der Pflegekassen sind gedeckelt, alles darüber hinaus müssen die Pflegebedürftigen aus eigener Tasche bezahlen. Der Sockel-Spitzen-Tausch muss vollzogen werden. Die Pflegekasse übernimmt dabei alle notwendigen, pflegebedingten Kosten (die Spitze) und berechnet dem/der Versicherten einen fixen begrenzten Eigenanteil (den Sockel).