Meilenstein der Mitbestimmung

Diesen Artikel findest Du auch in der Imtakt Oktober 2016

Der Europäische Betriebsrat der DB AG ist für den Deutschen Betriebsräte- Preis 2016 nominiert. Das Gremium hat eine bisher einmalige Vereinbarung ausgehandelt: Erstmals gibt es in einem Konzern europaweit einheitliche Mindeststandards für den Schutz der Beschäftigten bei der Verlagerung von Arbeitsplätzen.

Eigentlich war es eine normale, turnusmäßige Sitzung des Europäischen Betriebsrats (EBR) im Oktober 2013. Bis die Arbeitgeberseite ihre Pläne zu den „Shared Service Centern“ (SSC) auf den Tisch legte. Da wussten die Arbeitnehmervertreter sofort: Das wird eine heikle Sache – und ein schwieriger Job für den EBR.

„Global Accounting Shared Service Centers“ – hinter diesem pompösen Begriff aus dem Schatzkästlein des modernen Managements verbirgt sich etwas sehr Einfaches: die Zentralisierung der Buchhaltung. Die deutsche Buchhaltung wird in Berlin zusammengefasst, die für die europäischen Aktivitäten der DB in Rumänien. Insgesamt 1000 Arbeitsplätze sind betroffen.

Buchen in Bukarest: Dass es da nicht nur um Synergieeffekte ging, war dem EBR sofort klar, sagt der Vorsitzende Jörg Hensel. „Natürlich werden so das niedrigere Lohnniveau und die geringeren Sozialstandards ausgenutzt.“ Nur in wenigen europäischen Ländern sind das Arbeitsrecht, die Mitbestimmungskultur und die Rechte der Gewerkschaften so weit entwickelt wie in Deutschland. Die Absicherung der Beschäftigten bei Umstrukturierungen oder Verlagerungen ist bisweilen nur schwach ausgeprägt. Wohl nicht zufällig entwickelt sich gerade Rumänien derzeit zu einem Hot Spot für die Auslagerung von Leistungen und Unternehmensteilen. „Für uns war deshalb sofort klar, dass eine Regelung her musste“, sagt Jörg Hensel. „Wir wollten Mindeststandards zum Schutz der Kolleginnen und Kollegen vor Entlassungen und anderen sozialen Härten.“ Rechtliche Möglichkeiten hat der EBR dafür nur wenige: Informations- und Konsultationsrechte. „Sehr viel mehr Möglichkeiten als verhandeln, argumentieren, überzeugen haben wir nicht.“

Und die hat der EBR überzeugend eingesetzt. Die im Oktober 2015 abgeschlossene Vereinbarung ist bisher europaweit nahezu einmalig. Das Magazin „Mitbestimmung“ der Hans-Böckler-Stiftung bezeichnete sie als „eine Art europaweite Sozialplan- Grundregel“.

-Weiterbeschäftigung im Konzern hat Vorrang. Dafür wurde ein „DB Jobboard“ eingerichtet: eine Plattform, auf der alternative Arbeitsplatzangebote für die Betroffenen gebündelt werden.

-Der Arbeitgeber unterstützt den Arbeitsplatzwechsel innerhalb des Konzerns, wenn nötig auch über Ländergrenzen hinweg. Dazu gehören auch Qualifizierungsmaßnahmen und „Mobilitätspakete“, die z. B. die Bezahlung von Umzugskosten beinhalten, wenn der Weg zur Arbeit bei einem Arbeitsplatzwechsel zukünftig mehr als zwei Stunden beträgt.

-Ist kein alternativer Arbeitsplatz zu finden, werden andere Möglichkeiten geprüft: z.B. vorgezogener Ruhestand, Wechsel in eine Teilzeittätigkeit oder Aufhebungsverträge mit Abfindung.

-In den Ländern, in denen es keine oder nur geringe gesetzliche Sozialstandards gibt, werden solche vor Ort ausgehandelt und angewendet. Z.B. Verlängerung von Kündigungsfristen, Qualifizierungsmaßnahmen, Mobilitätsunterstützung o.ä.

-In besonderen Situationen springt ein Härtefallfonds ein. Z. B. wenn ein betroffene/r Kollegin/ Kollege auf besondere Hilfen (wie etwa einen Rollstuhl) angewiesen ist und ein Umzug entsprechend weitere Kosten verursachen würde.

„Die Verhandlungen und das gute Ergebnis haben den Zusammenhalt des EBR und das Selbstbewusstsein des Gremiums massiv gefördert“, resümiert der EBR-Vorsitzende Jörg Hensel. „Und wir haben auch inhaltlich viel gelernt. Schließlich war das auch für uns die erste Vereinbarung dieser Art. Erfahrungen aus anderen Unternehmen gab es kaum.“ Die EVG hat die Verhandlungen unterstützt. „Der Europäische Betriebsrat hat aus einer schwierigen Ausgangslage das Optimum herausgeholt“, sagt der Stellvertretende Vorsitzende Klaus-Dieter Hommel. „Nach der Devise: Wo gesetzliche Regelungen keinen ausreichenden Schutz der Beschäftigten bieten, entwickeln wir diesen Schutz selbst – aus dem Geist der Mitbestimmung heraus. Die Vereinbarung setzt damit neue Maßstäbe. Hinter dieses Regelungsniveau kann der DB-Konzern nicht mehr zurück.“

Und nicht nur der DB-Konzern. Auch Betriebsräte anderer Unternehmen aus verschiedenen europäischen Ländern sind aufmerksam geworden, bestätigt Jörg Hensel. „Wir bekommen Anrufe und Mails und werden gebeten, unsere Erfahrungen zu teilen. Das tun wir natürlich sehr gern!“

Der Deutsche Betriebsräte-Preis wird alljährlich im November im Rahmen des Deutschen Betriebsrätetages verliehen. Er wird von der Zeitschrift Arbeitsrecht im Betrieb vergeben, die damit die öffentliche Anerkennung und Wertschätzung für die Arbeit von Betriebsrätinnen und -räten erhöhen will. Insgesamt 88 Gremien haben sich in diesem Jahr beworben, 14 sind für den Preis nominiert worden, darunter der Europäische Betriebsrat der DB AG. Fester Bestandteil des Deutschen Betriebsrätetages ist auch eine Reihe von Fachforen. In diesem Rahmen wird EVG-Kollege Klaus-Theo Sonnen-Aures, GBR-Vorsitzender von DB Systel, über die Steigerung der Eigenfertigungstiefe & Insourcing im Betrieb referieren.
Mehr Infos: www.betriebsraetetag.de