Interview: „Die EU ist das beste, was uns passieren konnte“

Wolfgang Kickbusch ist passionierter Grenzgänger. Der Vorsitzende des Landesverbandes Senioren in Schleswig-Holstein lebt bereits seit vielen Jahren in Dänemark.

Wolfgang, was hat dich nach Dänemark verschlagen?
Ich bin meiner Frau wegen nach Dänemark gezogen. Seit 1973 bin ich zu ihr nach Dänemark gependelt, 1978 ganz dorthin gezogen. Erst haben wir in Apenrade gewohnt, später haben wir ein Haus in Krusau gekauft, auf der dänischen Seite der Flensburger Förde.

In den 40 Jahren inzwischen hat sich ja einiges verändert…
Das stimmt, Ende der 70er Jahre den Wohnsitz nach Dänemark zu verlegen, war noch mit vielen Formalitäten verbunden. Wenn ich noch daran denke, was für eine Prozedur das war, das Auto ab- und anzumelden. Die Verlegung des Hauptwohnsitzes nach Dänemark musste damals noch von der Hauptverwaltung in Frankfurt - und dann auf Widerrufes- genehmigt werden. Und man musste ja anfangs immer durch den Zoll. Das ist nun schon lange nicht mehr so. Wenn man heute die Grenze überquert, erinnert fast nichts mehr an diese Zeit. Da ändern sich nur noch die Verkehrszeichen.  

Du hattest sicher aber auch schon vorher Kontakte nach Dänemark
Ja sicher. Ich komme aus Flensburg, da hatten wir schon immer den kleinen Grenzverkehr. Wir sind oft zum Einkaufen nach Dänemark gefahren. Und es war sehr leicht, mal ein Ferienhaus zu bekommen. Man konnte schon spontan und sehr billig mal ein langes Wochenende oder Pfingsten mit Freunden in Dänemark verbringen.

Und im Berufsleben?
Ich habe erst im Hamburger Hafen gearbeitet, später als Fahrdienstleiter in Schleswig-Holstein. Da hatten wir schon auch Kontakt zu dänischen Eisenbahnern. Ich sag mal so, die haben es mit der Pünktlichkeit auch nicht immer so genau genommen. Als Fahrdienstleiter haben wir dann aber auch Treffen organisiert mit den dänischen Kollegen, um uns auch gegenseitig besser kennenzulernen. Diese Treffen gibt es bis heute. Und das gegenseitige Verständnis ist schon da.

„Die Reisefreiheit generell und die Zollfreiheit – bei aller Kritik, die ich auch habe, sage ich: Die EU hat eine weitere Chance verdient.“

Wolfgang Kickbusch, Vorsitzender des Landesverbandes Senioren in Schleswig-Holstein

Wie lebt es sich denn unter Dänen, die ja lange Zeit als das „glücklichste Volk der Welt“ galten?
Da kann ich nur sagen: Gut. Mein Schwiegervater war Häftling im KZ Neuengamme. Aber ich habe nie ein böses Wort von ihm in meine Richtung als Deutscher gehört, von ihm nicht und auch vom Rest der Familie nicht. Meine Frau ist Erzieherin und wir hatten auch immer Pflegekinder – auch da gab es nie irgendwelche Probleme. Generell sind die Dänen recht entspannt. Kommst du heute nicht, kommst du morgen, ist hier das Motto. Gesiezt wird hier auch nur die Königsfamilie, alle andere sind sofort per Du.

In vielen EU-Ländern ist die Stimmung derzeit eher EU-skeptisch. Wie ist das in Dänemark? 
Dänemark ist 1973 gemeinsam mit Großbritannien in die EU eingetreten, weil man eng miteinander verbunden war. Und der Brexit – den ich selbst kritisch sehe und bedauere – ist hier natürlich auch ein Thema. Aber „raus aus der EU“ ist für die allermeisten Dänen keine Option. Es gab kürzlich eine Umfrage, in der sich 18 % für einen Austritt aus der EU ausgesprochen haben, aber 68 % wollen in der EU bleiben. Leider ist durch die Flüchtlingsproblematik auch hier ein anderer Zungenschlag reingekommen. Neuerdings stehen wieder Soldaten an den Grenzübergängen. Lars Lokke Rasmussen

… der bürgerlich-konservative dänische Ministerpräsident ...

steht da auch unter Druck. Er führt ja eine Minderheitsregierung und ist von den Rechtspopulisten abhängig. Denen muss es was bieten. Aber ich finde es beschämend, auf welches Niveau sich die europäische Politik da begibt. 

Wie siehst du selbst die EU?
Die EU ist das Beste, was uns passieren konnte. 70 Jahre Frieden, das sollte uns die Milliarden wert sein, die wir nach Brüssel überweisen. Ich erlebe es in der Familie und im Bekanntenkreis: Da können junge Leute mal eben für ein halbes Jahr nach Spanien oder sonstwohin gehen, um zu studieren oder zu arbeiten. Die Reisefreiheit generell und die Zollfreiheit – bei aller Kritik, die ich auch habe, sage ich: Die EU hat eine weitere Chance verdient.