Vom Schraubenzieher zum Laptop

Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt. In einer Serie der imtakt zeigen wir auf, wo die Digitalisierung  im Eisenbahnbereich bereits Einzug gehalten hat. Diesmal: die Zentralschaltstellen von DB Energie.

Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt sind schöne Länder, ohne Zweifel. Selbst wenn sie nur als ein Muster aus grünen Linien dargestellt werden wie auf den großen LED-Bildschirmen in der ZES Leipzig. Was die Schaltdienstleiter hier auf 9 x 2 Metern vor sich sehen, ist die Stromversorgung der Bahn in den drei Bundesländern.

„ZES“ ist die Abkürzung für „Zentralschaltstelle“. Sieben von ihnen gibt es bei der DB Energie bundesweit. Von hier aus wird das Bahnstromnetz kontrolliert, und zwar mit den neuesten Technologien. „Digitalisierung ist für uns nichts Neues“, sagt Klaus-Dieter Heldt, Betriebsratsvorsitzender des Wahlbetriebes Ost. „Wir sind unserer Zeit ein bisschen voraus.“

„Wir sind unserer Zeit ein bisschen voraus.“

Klaus-Dieter Heldt, Betriebsratsvorsitzender des Wahlbetriebes Ost
Klaus-Dieter Heldt

DB Energie ist der Energieversorger der Bahnen in Deutschland. Das sagt sich leicht. Dahinter verbirgt sich ein komplexes System. DB Energie betreibt zwei Netze: eines für die Oberleitungen, eines für die Versorgung der Bahnhöfe und Stellwerke. Daran hängen Loks, Computer, Licht und Rolltreppen, Stellwerkselektronik, Zugzielanzeiger und Eistruhen. „Energieversorgung beim Bahnbetrieb ist dynamisch“, sagt Angelika Mertens, Leiterin der ZES Leipzig. Nicht nur weil immer neue Strecken und damit elektrische Anlagen dazu kommen – so wie hier in jüngster Zeit der Leipziger City-Tunnel oder die HGS Leipzig-Erfurt. Sondern auch, weil „unser Verbraucher nicht fest an der Strippe hängt - die Loks sind ja unterwegs.“

Die Zuständigkeit der Zes beginnt an den so genannten Unterwerken. Hier kommt der Strom mit einer Spannung von 110.000 Volt an und wird in die 15.000 Volt umgewandelt, die für die Oberleitung gebraucht werden. Alle 40 bis 60 Kilometer gibt es ein solches Unterwerk. „In der ZES überwachen wir, dass die Oberleitung immer unter Spannung steht“, so Angelika Mertens. Auf den Bildschirmen sind die Strecken und Bahnhöfe dafür in so genannte Schaltgruppen eingeteilt. Mit dem Überwachen allein ist es aber natürlich nicht getan. „Wir müssen den Strom regelmäßig aus- und anschalten. Zum einen für die Instandhaltung unserer eigenen Anlagen. Aber natürlich auch für alle anderen Arbeit im Gleis. Wenn an Weichen und Signalen gearbeitet wird, muss die Oberleitung ausgeschaltet werden.“ Das erfordert eine enge Kommunikation nicht nur mit der DB Netz AG, sondern auch mit den Verkehrsunternehmen. Wenn Loks abgestellt sind, ist die Information über die Stromabschaltung wichtig. Entsprechend wird DB Energie auch einbezogen, wenn es um die Entwicklung der  Betriebs- und Bauanweisungen (Betra) geht.

Die Besetzung der Schichten in den Zentralschaltstellen folgt dem Rhythmus des Eisenbahnverkehrs: allerdings sozusagen umgekehrt. Wenn weniger Züge fahren, wird mehr gebaut – entsprechend höher ist dann der Arbeitsanfall in den Zentralschaltstellen. „Hier wird am meisten gearbeitet, wenn andere schlafen“, sagt Betriebsrat Klaus-Dieter Heldt. „Routine gibt es hier nicht. Du kannst dir keinen Fehler leisten, denn du hast auch Verantwortung für Menschenleben.“
Das ist schon im Regelbetrieb so, erst recht im Störungsfall.  Dann müssen Fehler lokalisiert, Fahrdienstleiter informiert werden. „Das kann ganz plötzlich gehen und dann müssen die Kollegen sofort von Null auf Hundert schalten.“ Das, sagt Klaus-Dieter Heldt, „ist aber auch das, was Spaß macht: es ist kein Tag wie der andere, man muss immer wieder reagieren auf besondere Situationen.“ DB Energie erzielt eine Versorgungssicherheit von 95 bis 99 %. „Wir stellen damit auch die Funktionsfähigkeit des Bahnbetriebs sicher. Wenn wir unser Ziel bei der Versorgungssicherheit nicht erreichen würden, würden die EVU auch nicht ihre Pünktlichkeitsziele erreichen.“ Die fehlenden ein bis fünf Prozent entspringen nicht nur Störungen, die in einem so komplexen technischen System natürlich auftreten können. Sie entstehen auch durch Vandalismus und Kriminalität. So z.B. durch den Diebstahl von Erdkabeln. 
 
Digitalisierung verändert die Arbeit. Beispiel Störungsmeldungen. Im Oberleitungs-Netz werden mehr und mehr Automatisierungskomponenten eingebaut: Sie generieren selbstständig Störungsmeldungen. „Und wenn wir eine Störungsmeldung anlegen, wird sie sofort in das Instandhaltungssystem übertragen“, sagt Angelika Mertens. „Der Kollege vor Ort weiß dann sofort, er muss rausfahren und sich das angucken. Es gibt aber auch Anlagen, da können wir von hier aus rein gucken und nach Fehlern suchen.“  Damit verändert sich auch das Berufsbild de Elektrikers, sagt Betriebsrat Klaus-Dieter Heldt. „Das wichtigste Werkzeug für unsere Techniker ist nicht mehr der Schraubenzieher, sondern der Laptop.“ Das beinhaltet auch ständige Weiterqualifikation. „Ob alte oder neue Anlagen: Ich muss alles ständig parat haben.“

„Arbeit 4.0 ist bei uns Alltag“, sagt auch der GBR-Vorsitzende Karl-Heinz Athens. „Ich selbst bin seit über 45 Jahren in der Bahnenergieversorgung tätig. Wir haben unsere Anlagen immer mit dem aktuellen Stand der Technik betrieben. Die Folgen des technischen Wandels und die Auswirkungen auf unsere Mitarbeiter sind und bleiben ein Dauerthema in all unseren Gremien.“

Arbeit wird aber nicht nur verändert, sondern teilweise ersetzt. So waren früher alle Unterwerke mit Personal besetzt. Heute gibt es im Bereich der ZES Leipzig nur noch zwölf Stützpunkte zur Instandhaltung. Insgesamt hatte der Regionalbereich Ost vor zehn Jahren noch fast 650 Beschäftigte, heute sind es noch 380. „Wir sind durchrationalisiert und haben den Personalabbau eigentlich hinter uns. Die jetzige Personalbemessung kann eigentlich nicht mehr unterschritten werden.“ Jetzt, sagt Klaus-Dieter Heldt, „kommt es allmählich darauf an, zu analysieren, was kann man den Leuten eigentlich noch zumuten? Und soll das mit mehr Geld ausgeglichen werden oder gibt es andere Möglichkeiten?“  Viele der Kollegen, sagt der Betriebsratsvorsitzende, „hätten gerne eine kürzere Wochenarbeitszeit, aber das ist am Ende nur mit einer Personalmehrung zu machen.“